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© AFP

Frankreich: Sarkozys Solonummern verstören Europäer

Präsident Sarkozy eckt an, nicht nur mit seiner Haltung zu den Wahlen in Russland. Jetzt will der Franzose ein Bündnis im Mittelmeerraum gründen, vor dem Bundeskanzlerin Merkel nur warnen kann.

Gestern kam Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Aussprache nach Paris. Der Rahmen der regelmäßigen informellen „Blaesheim“-Treffen eignete sich bestens dazu. Denn bevor sich Meinungsverschiedenheiten zu einem Streit auswachsen, sollte man ja unter Freunden zuerst miteinander reden. Wenn möglich. Nach den einseitigen Erklärungen von Nicolas Sarkozy bei seinem Besuch in Algerien hielt Merkel den Zeitpunkt für reif, um ziemlich unverhohlen ihr Unbehagen mit diesen Solonummern des französischen Präsidenten zum Ausdruck zu bringen. Wenn nämlich Frankreich sich nicht nur um seine bilateralen Beziehungen mit der ehemaligen Kolonie in Nordafrika kümmert, sondern davon ausgehend auch die Zukunft der europäischen Diplomatie ins Spiel bringt, und dies ohne Vordiskussion in der EU, geht dies auch die Partner der Gemeinschaft etwas an. „So schlagen wir Algerien den Aufbau der Mittelmeerunion auf der Grundlage der französisch- algerischen Freundschaft vor“, sagte Sarkozy in der algerischen Universität von Constantine, als spräche er im Namen der Europäischen Union.

Dabei teilen längst nicht alle Sarkozys Enthusiasmus für eine „Mittelmeerunion“, die er ursprünglich Trostpreis die Türkei ins Spiel gebracht hatte. Mit seinem Vorstoß werde der französische Präsident „Spannungskräfte in Europa wachrufen“ mahnte Merkel. Und das Risiko wäre, dass „die EU in ihrem Kernbereich zerfällt“. Die 500 Millionen Europäer müssten „ihre Interessen gemeinsam formulieren“, betonte Merkel. Sie ruft Sarkozy in Erinnerung, „die Mittelmeerverantwortlichkeit ist auch für einen Nordeuropäer da, genauso wie die Zukunft der Grenze zu Russland und der Ukraine eine Sache derer ist, die am Mittelmeer beheimatet sind“. Auch der italienische Aussenminister Massimo d’Alema reagierte: „Mir scheint, dass man von den vorhandenen Formen der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ufern das Mittelmeeres ausgehen muss“, eine „neue internationale Institution“ brauche es dafür nicht.

Sarkozys Wahl war in den meisten EU-Ländern mit großen Erwartungen begrüßt worden. Die Hoffnungen wurden bestätigt, als es ihm zusammen mit anderen Partnern gelang, durch einen Mini- Vertrag die Union aus der Sackgasse zu holen, in der diese nicht zuletzt wegen des französischen Neins zum Verfassungsvertrag gelandet war. Keinen Beifall erntete Sarkozy, als er sagte, Frankreich werde zur Sanierung der Staatsfinanzen mehr Zeit benötigen und der Schuldenabbau sei nicht die oberste Priorität. Wenig gefallen fanden bei den Anhängern eines starken Euro auch seinen wiederholten und immer schärferen Angriffe auf die Währungspolitik der EZB. Dass im Juli Nicolas Sarkozy und seine damalige Gattin Cécilia den ganzen Verdienst für die Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern aus libyscher Gefangenschaft einheimsten, ohne die lange Vorarbeit der EU gebührend zu würdigen, und dass der französische Präsident anschließend auch noch zum Freundschaftskuss mit Oberst Gaddafi nach Tripolis reiste, um dort Verträge über eine militärische und nukleare Kooperation zu unterzeichnen, war bereits ein echtes Ärgernis.

Jetzt schaut man bei Sarkozys internationalen Auftritten genauer hin. Dass er im Unterschied zu den meisten Amtskollegen in Europa Wladimir Putin herzlich zum Wahlsieg gratuliert hat, erregt Anstoß – übrigens auch in Frankreich. Auf Kritik aus Brüssel trifft auch seine penetrante Förderung der Kernindustrie, die nicht nur für Frankreichs Energieversorgung, sondern auch für den Export eine strategische Bedeutung besitzt. Sarkozy verkauft nicht nur der Volksrepublik zwei EPR-Reaktoren der neuesten Generation, er bietet das technologische Atom- Know-how auch Libyen, Algerien und anderen Mittelmeeranrainern an. Der EU- Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana erblickt darin eine Gefahr der Weiterverbreitung von Atomwaffen. Und wenn es um die Sicherheit der Gemeinschaft geht, neigt sich das Verständnis für Sarkozys nationale Interessenpolitik gegen Null.

Rudolf Balmer[Paris]

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