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Marine Le Pen, Chefin des Front National.

© Reuters

Frankreich und Polen: Deutschland steht zwischen zwei rechten Nachbarn

Polen und Frankreich sind auf Abwegen. Und selbst Donald Tusk redet der europäischen Nicht-Solidarität das Wort. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Frankreichs erste Präsidentin wird Marine Le Pen vermutlich nie werden. Zumindest nicht bei den Wahlen 2017 – solange sich die Parteien (und Wähler) von François Hollande und Nicolas Sarkozy im Fall eines zweiten Urnengangs gegen sie verbünden würden. Wobei das Wort „Urnengang“, frei nach Karl Kraus, einen Beiklang von Wahrheit hätte. Aber Le Pens rechtsextremer Front National ist auf dem Weg, Frankreichs stärkste politische Kraft zu werden, nicht nur, wie dieser Tage, in etlichen Regionen des Landes.

In Zeiten des Terrors, der Flüchtlingswelle, der Wirtschaftsmisere sind Präsident Hollande und seine geschwächten Sozialisten ebenso wie die vom skrupellos opportunistischen Vorgänger Nicolas Sarkozy angeführten Konservativen schon jetzt nicht viel mehr als Gefangene und Getriebene der rechtsnationalen Front.

Willy Brandts Kniefall in Warschau bleibt hierfür das historische Symbol

Als größter westlicher Nachbar ist uns Frankreich bisher das kerneuropäische Bruderland. Die Versöhnung mit den seit den napoleonischen Kriegen zum Erzfeind erklärten Franzosen war zu Zeiten Adenauers und de Gaulles eine historische Wende. Sie ist es bis heute, vergleichbar mit der Aufnahme der diplomatischen, alsbald sogar freundschaftlichen Beziehungen zu Israel. Und hernach: mit der Aussöhnung auf der zweiten, der östlichen Nachbarseite. Willy Brandts Kniefall in Warschau bleibt hierfür das historische Symbol.

Einen Sinn für Geschichte, weit über alle Tagespolitik hinaus, hat darum das sogenannte „Weimarer Dreieck“ bewiesen. Die Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Polens, Dumas, Genscher und Skubiszewski, haben es 1991 initiiert, in der Stadt Herders, Schillers, Goethes, in der Nähe von Buchenwald. Die Kanzler Kohl und Schröder, die Präsidenten Mitterrand und Walesa sowie etwa 2007 in seiner ersten Regierungserklärung der damalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk haben das Zusammenwirken ihrer drei Länder als eine Herzensmelodie Europas beschworen. Polen, Deutschland, Frankreich – „quite a sandwich“ nennen so was die Angelsachsen. Doch das Sandwich ist heute gegessen. Das Weimarer Dreieck scheint einer anderen Epoche (einem anderen Europa) anzugehören, es wirkt wie ein verblasster Mythos. Im Westen ist Marine Le Pen auf dem Vormarsch, im Osten Beata Szydlo mit ihrer PiS-Partei an der Macht. Dazwischen Angela Merkel und die deutsche Politik: eingeklemmt zwischen rechtsextremen Entwicklungen. Plus Ungarn. Plus minus minus. In diesem Sandwich mag man nicht unbedingt der Belag in der Mitte sein.

Natürlich wirkt Polens neue, klerikal-nationalistische Regierung erst mal abschreckend. Und wenn Madame Le Pen aus der EU austreten und den Franc wieder einführen will, klingt das ziemlich irrsinnig. Das diplomatische, menschliche Problem ist freilich: Denkt man daran, wie viel Leid den einst als „Polacken“ und slawische oder jüdische „Untermenschen“ geschmähten Nachbarn angetan wurde, dann möchte man eine Regierung in Warschau, dessen Auslöschung einst von Berlin befohlen wurde, nicht allzu frontal kritisieren. Wir sind befangen. Auch gegenüber Frankreich wären wir es. Eine rechtsradikale Regierung in Paris? Vichy ließe grüßen.

Tusk redet der Nicht-Solidarität das Wort

Doch in Polen geht es schon los: mit der Fremdenfeindlichkeit, mit der nationalistischen Propaganda, mit Homophobie, religiöser Intoleranz, der Einschränkung der Medien- und Meinungsfreiheit, mit Pressionen gegen eine unabhängige Justiz. Gerade so, als hätte man sich das System Putin des in Polen so weithin verhassten Nachbarn Russland zum Vorbild genommen. Und selbst Donald Tusk, vormals Chef einer ganz anderen, europafreundlich aufgeklärten polnischen Regierung, redet nun in seinen jüngsten Interviews als EU-Ratspräsident der europäischen Nicht-Solidarität das Wort.

Tusk muss Merkels großzügige Flüchtlingspolitik nicht mögen. Aber in seinem Brüsseler Amt EU-Mehrheitsbeschlüsse zur gerechteren Verteilung für obsolet zu erklären und der praktizierten Nächstenfeindschaft nicht zu widersprechen, ist ein starkes Stück. Weil ganz schwach und ganz feige.

Ob Präsident Hollande in Frankreich noch so mutig sein wird, eine humane, wenngleich vielleicht kontrolliertere (aber wie ohne Waffen und Tote zu „kontrollierende“?) Flüchtlingspolitik zu ermöglichen, das wird sich zeigen. Der Verdacht drängt sich bereits auf, dass der Ausnahmezustand über die unmittelbare Bekämpfung des Terrors auch der Abschottung dienen soll. Wohin man so schaut von Deutschland aus: mehr Fragen als Antworten, mehr Abgründe als gute Gründe.

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