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Politik: Frankreichs strahlender Exportschlager

Nach den letzten zwei Pannen in Kernkraftwerken steht die staatliche Atomindustrie in der Kritik

Zwei Pannen in französischen Atomanlagen innerhalb von zehn Tagen haben die Selbstsicherheit der staatlichen Atomindustrie erschüttert. Am Freitag waren aus der Atomanlage in Romans-sur-Isère im Südosten knapp 800 Gramm flüssiges Uran ausgetreten. Einige Tage zuvor war aus der Anlage Tricastin Flüssigkeit ausgetreten, die nichtangereichertes Uran enthielt. Dass diese Technologie mit einem „Laisser-aller“ – einer gewissen Lockerheit – in Sicherheitsfragen unvereinbar ist, mahnt jetzt die Presse an. Der breite Konsens zugunsten der Kernenergie dürfte in Frankreich aber fortbestehen.

„Wir haben das Ausmaß der Emotionen unterschätzt, und wir waren überrascht von den Reaktionen der Medien“, räumt Anne Lauvergeon, Vorsitzende des staatlichen Atomenergiekonzerns „Areva“, ein. Dabei habe es sich bloß um „Anomalien“ der untersten Klasse eins auf der achtstelligen Skala für atomare Störfälle und Katastrophen gehandelt. „Zu keinem Zeitpunkt“ habe es „eine Gefahr für das Personal und die Bevölkerung“ gegeben. Das wiederholt Lauvergeon jetzt in vielen Interviews.

Absurd ist es nach ihrer Ansicht deshalb, dass die Polizei in der Umgebung von Tricastin ein Badeverbot verhängte und Schwimmern riet, sich im Krankenhaus untersuchen zu lassen. Bei dem Zwischenfall waren 18 000 Liter eines Reinigungsmittels mit 74 Kilo Uran in zwei Flüsse gelangt. Areva, dessen Tochter „Socatri“ die Zentrale in Tricastin im Rhôhne-Tal betreibt, war danach massiv in die Kritik geraten. Hier räumt die „Areva“-Chefin „Irrtümer“ und „Fehlentscheide“ ein. Der „Socatri“-Direktor wurde bereits entlassen.

Die Aufregung um Tricastin dürfte sich damit aber noch nicht gelegt haben. Die von der Strahlenschutzbehörde ASN angeordneten Analysen im Grundwasser haben nun in der Umgebung von Tricastin an vier verschiedenen Orten unerklärlich hohe Werte radioaktiver Verschmutzung ergeben, die nach Ansicht der Experten nicht auf den Zwischenfall vom 8. Juli zurückzuführen sind. Die unabhängigen, atomkritischen Strahlenexperten der Gruppe Criirad vermuten die Ursache in einem Atommüll-Zwischenlager auf dem Gelände des ausgedehnten Atomkomplexes von Tricastin. Dort sind seit dreißig Jahren 770 Tonnen Rückstände aus der militärischen Rüstung vergraben, ein Drittel davon ist nach Ansicht von Criirad im Erdreich versickert. Überprüfen lässt sich dies nicht, der Atommüll unterliegt militärischer Geheimhaltung.

Bei der Panne am Freitag in der ebenfalls zur Areva-Gruppe gehörenden Brennstäbefabrik in Romans-sur-Isère, traten dann relativ geringe Mengen Uran, nach offizieller Darstellung einige hundert Gramm, aus einer defekten Kanalisationsleitung auf dem Gelände aus. Entdeckt wurde dies nur, weil nach dem Störfall von Tricastin die Röhre kontrolliert wurde – was laut Eingeständnis der Direktion seit Jahren nicht mehr passiert war. Die Atomgegner von „Greenpeace“ und vom Netzwerk „Sortir du nucléaire“ sehen darin den letzten Beweis, dass die angebliche hohe Sicherheit der Atomanlagen ein „Mythos“ sei.

„Transparenz“ fordert jetzt Umweltminister Jean-Louis Borloo, er verlangt Grundwasserproben in der Umgebung sämtlicher 58 Reaktoren, die für Frankreich 80 Prozent der Elektrizität produzieren. Der Zweifel an der Sicherheit der Atomanlagen soll sich nicht in der öffentlichen Meinung einnisten. Heute stehen laut Umfragen 67 Prozent der Franzosen hinter der Atomkraft, die nicht nur für die unabhängige Energieversorgung sorgt, sondern ein Symbol der französischer Spitzentechnologie ist.

Sie ist auch Frankreichs Exportschlager. Bei jedem Staatsbesuch im Ausland „verkauft“ Präsident Nicolas Sarkozy das französische nukleare Wissen – unter anderem an Länder wie Algerien und Ägypten. Das Image dieses Industriesektors ist deshalb in der Tat eine Staatsaffäre. Nur gehe es nicht bloß ums Prestige und ums Geschäft, sondern auch um Sicherheit, mahnte jetzt die Zeitung „Le Monde“ in einem Leitartikel. Die Mängel, die in Tricastin und Romans-sur- Isère sichtbar wurden, „rufen uns eine simple Wahrheit in Erinnerung: Die Atomkraft ist keine harmlose Industrie, und sie kann nicht ein Exportprodukt sein wie andere“.

Rudolf Balmer[Paris]

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