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Jung bietet Rücktritt an

© dpa

Franz Josef Jung: Das vorletzte Gefecht

Franz Josef Jung bleibt dabei: Er hat keine Fehler gemacht. Er lächelt das Lächeln eines selbstbewussten Herrn, als er seinen Rücktritt erklärt. Die Probleme der Regierung sind damit freilich nicht gelöst – seine eigenen auch nicht

Von Robert Birnbaum

Die Fahne muss dabei sein, unbedingt! Ein kleiner Mann schleppt das Ding eilends rein, den schweren Ständer und die beiden Flaggen, Europas Sterne und das Schwarz- Rot-Gold. Der kleine Mann ist rot vor Anstrengung. Dabei wird das Flaggenensemble hinterher kaum zu sehen sein, weil sich jetzt ein Kamerateam neben dem nächsten in den kleinen Presseraum in der Berliner Mohrenstraße drängt und auch den Flaggenständer verdeckt. Aber Franz Josef Jung hat immer Wert auf symbolische Korrektheit gelegt, das soll bis zum letzten Tag so bleiben. Und der letzte Tag ist da.

„Nach reiflicher Überlegung und Handeln nach dem Grundsatz, dass man wichtige Entscheidungen erst eine Nacht überschläft, habe ich heute morgen die Bundeskanzlerin davon unterrichtet, dass ich mein Amt des Bundesministers für Arbeit und Soziales zur Verfügung stelle.“ Man sollte meinen, dass einer in so einem Moment traurig dreinblickt oder mit dem übertriebenen Ernst des Verantwortungsträgers. Aber Franz Josef Jung guckt wie Franz Josef Jung, das verbindliche Lächeln eines selbstbewussten Herrn.

Vielleicht erklärt sich das durch die folgenden Sätze. Er habe, fährt Jung nämlich fort, Öffentlichkeit und Parlament in der Affäre Kundus stets „über meinen Kenntnisstand korrekt unterrichtet“. Er übernehme die politische Verantwortung nur „für die interne Informationspolitik des Bundesministeriums für Verteidigung gegenüber dem Minister“.

Was auf Deutsch heißt: Ich war’s nicht – die anderen waren es! Die haben mich im Dunkeln tappen lassen! Also die, die der Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg gerade rausgeworfen hat, der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan also und der Staatssekretär Peter Wichert? Man hätte das Jung jetzt gerne noch gefragt, aber der ist schon bei der gelinde satiretauglichen Auskunft, dass sein Rückzug einen Beitrag dazu leisten solle, dass die Bundesregierung „ihre erfolgreiche Arbeit uneingeschränkt fortsetzen“ könne. Und dann versichert er noch, dass ihm das Wohl der Soldaten immer Herzensangelegenheit gewesen sei, und plötzlich schaut er doch ernst, weil das nämlich stimmt, und dann dreht er sich zur Seite, dankt und geht.

Es ist ein Abgang, den jeder für zwingend erachtet hat, der Betroffene zuletzt. Am Freitagmorgen drängeln sich Kamerapulks im ersten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses vor der dicken, schalldichten Tür, hinter der der Verteidigungsausschuss tagt. Drinnen steht der Neue den Abgeordneten Rede und Antwort. Und er tut es auf eine Art und Weise, die selbst die Opposition ins Schwärmen bringt. Dieser Guttenberg – gar kein Vergleich nach vier Jahren Jung! Klare Sätze, klare Ansagen, klare Kante. Nicht drum herumreden, was am Tag vorher öffentlich geworden war: Dass es einen geheim gehaltenen Untersuchungsbericht zu dem Bombardement zweier Tanklaster gab, das der Kommandeur von Kundus in der Nacht zum 4. September angeordnet hatte – es gibt sogar, sagt Guttenberg den Abgeordneten, neun weitere Berichte, die er bisher allesamt nicht kannte. Die werde er jetzt lesen, und die werde er natürlich auch den Abgeordneten sofort zur Verfügung stellen, und zwar, so weit das in seiner Macht stehe, ohne „Geheim“-Stempel. Der zweite Staatssekretär Rüdiger Wolf leite ein Untersuchungsteam, das prüfen solle, wer was wann gewusst und wann an wen weitergegeben habe oder eben nicht.

Derart beeindruckend ist dieser Auftritt, dass ein Oppositionsabgeordneter das Wort „grandios“ nicht scheut. Derlei Lob trägt naturgemäß immer auch etwas Gift in sich. Guttenberg setzt mit dem Schlachtruf „volle Transparenz“ einen Maßstab, hinter den er bei späterer Gelegenheit kaum je wieder zurückfallen kann. Aber das Wohlgefallen erklärt sich auch durch den Kontrast. Vier Jahre Franz Josef Jung sind eine harte Zeit für alle Abgeordneten gewesen, die die rheinhessische Sparsamkeit im Ausdruck so wenig zu schätzen wussten wie die spezifisch Jungsche Sparsamkeit mit Auskünften aller Art. Er ist ja den Ruf nie ganz losgeworden, als Provinzbär durch die Weltpolitik zu tappen, ehrlich bemüht, aber eben bemüht. Eigentlich ein gefundenes Fressen für die Opposition. Doch Fachpolitiker wollen auf das eigene Revier stolz sein können. Selbst Leute aus der Opposition haben sich darum nie freuen können, wenn Jung wieder mal darauf bestand, dass in Afghanistan kein Krieg herrsche – sie waren peinlich berührt. Um so mehr, als der Provinzbär ja als Person ein netter Kerl war.

Aber es geht nicht mehr, endgültig. Die Ausschusssitzung läuft noch, da fragt jemand draußen den neuen verteidigungspolitischen Sprecher der Union, ob Jung nicht zurücktreten müsse. Das, sagt Ernst-Reinhard Beck, müsse Jung selber entscheiden. Aber wenn der Hesse heute noch Verteidigungsminister wäre – „dann könnte ich mir vorstellen, dass er die politische Verantwortung übernehmen müsste“.

Jung ist zu dem Zeitpunkt schon auf dem Weg zu Merkel. Die Kanzlerin hatte ihm am Vortag zu verstehen gegeben, was sie von ihm erwartet, durch grimmiges Mienenspiel, durch eine Vertrauenserklärung, die keine war, durch lauter Zeichen, die ein alter Polit-Hase nur zu gut deuten konnte. Als Jung am Donnerstagabend im Bundestag zum Rednerpult geht, um zu rechtfertigen, warum er nichts von frühen Berichten deutscher Feldjäger über zivile Tote und verletzte Bombenopfer gewusst habe, muss er an Merkel und Vizekanzler Guido Westerwelle vorbei. Beide starren geradeaus durch ihn hindurch.

Vielleicht hat Jung gedacht, Merkel wird ihn trotzdem halten. Die beiden kennen sich noch aus den letzten Tagen der DDR, als er hessischer CDU-Generalsekretär war und sie eine Unbekannte mit unmöglichem Haarschnitt, Hängekleidern und bar jeder Erfahrung in der Politik. Vielleicht hat er auch gedacht, Berlin ist wie Hessen. Da hat er Affären überlebt und Untersuchungsausschüsse überstanden. Aber Bundes-Berlin ist nicht das überschaubare Provinzstädtchen Wiesbaden. Dass es ganz und gar unvorstellbar ist, dass ein Bundesarbeitsminister vormittags im Untersuchungsausschuss gegrillt wird und nachmittags mit den Gewerkschaftsspitzen Gespräche führen muss, die für einen CDU-Politiker allemal heikel sind – das haben ihm erst andere ausmalen müssen. Schließlich räumt Jung die Stellung. Um 13 Uhr 30 tritt er vor die Kameras.

Merkel telefoniert um die Zeit schon mit den Kandidaten für die Nachfolge. Der Kanzlerin und CDU-Vorsitzenden kommt das alles äußerst ungelegen. Dass ein Minister sein neues Amt räumen muss, weil ihn Fehler im alten einholen, dürfte zumindest bundespolitisch eine Premiere sein. Dass eine Kanzlerin nach vier Holperwochen gleich ihr Kabinett umbilden muss, ist ebenfalls rekordverdächtig. Um so wichtiger, die Sache jetzt schnell über die Bühne zu bringen. Ein Wochenende voller Spekulationen – ganz schlecht. Und beim Bundespresseball am Freitagabend taxiert jeder Journalist jeden anwesenden Kandidaten darauf, ob er über das ballübliche hinaus frohlockt – eine ganz dumme Vorstellung ist das!

Am Nachmittag tritt Angela Merkel vor die blaue Bundesadler-Wand im Foyer des Kanzleramts. „Ich habe den Rücktritt von Franz Josef Jung vom Amt des Verteidigungsmin...“, Merkel stoppt, „uups!“, falsch. Einen feinen Menschen nennt sie ihn. Und dann die Neuen, kurz, knapp. Ursula von der Leyen wird Jungs Nachfolgerin. Der Wechsel ist logisch. Die Frau aus Niedersachsen war die einzige von Merkels erfolgreichen Modernisierern, die bei der Kabinettsbildung nicht belohnt worden waren. Von der Leyen hat ihre Enttäuschung nie ganz verbergen können. Gesundheitsministerin wollte sie gerne werden. Das Ministerium für Arbeit und Soziales ist in der internen Hackordnung des Kabinetts noch eine Stufe höher angesiedelt.

Die neue Familienministerin kennen bisher nur Experten: Kristina Köhler, gerade 32 Jahre alt, trotzdem schon seit 2002 im Bundestag, Integrationsspezialistin, als Obfrau der Unionsfraktion im BND-Untersuchungsausschuss – aber vor allem: Abgeordnete des Wahlkreises Wiesbaden. Hessen hat wieder einen Sitz im Kabinett. Regionalproporz ist keine Nebensache, schon gar nicht in der Föderalpartei CDU. Roland Koch wird zufrieden sein. Christian Wulff übrigens auch.

Für den Ex-Minister Jung ist die Geschichte aber noch nicht ganz zu Ende, für Merkel auch nicht. Die Opposition verzichtet natürlich nicht darauf, den Fall Kundus in einem Untersuchungsausschuss weiter zu sezieren. Man müsse ja, sagt zum Beispiel der Linken-Wehrexperte Paul Schäfer, jetzt noch mal einen „extrem kritischen Blick auf den Vorgang selber“ werfen. Und natürlich will die SPD und wollen die Grünen jetzt noch mal genau wissen, wie der Nachfolger Guttenberg eigentlich zu seiner Einschätzung gekommen ist, dass der deutsche Oberst in Kundus in jener Nacht zu dem Schluss habe kommen „müssen“, dass Bomben auf die zwei entführten Tanklastwagen der einzig richtige Weg seien. Guttenberg, der die Gefahr riecht, hat schon angekündigt, er werde sich diese Einschätzung im Lichte der kompletten Berichte gegebenenfalls noch mal überlegen.

Und natürlich steht im Hintergrund bei der gesamten Opposition die stille Hoffnung, dass sie dem Zurückgetretenen vielleicht doch weit mehr nachweisen können als bloß, dass die eigenen Leute ihn mit lästigem Wissen verschont haben, aus welchem rätselhaften Grund auch immer. War etwa nicht Wahlkampf im September? Kann es etwa nicht sein, dass damals der Minister sehr genau wusste, was seine eigenen Soldaten berichteten, aber es hat vertuschen lassen? Er werde zur Aufklärung selbstverständlich zur Verfügung stehen, hat Jung in seiner Rücktrittserklärung versprochen. Das kann eine quälende Sache werden. Der Minister Jung hat ausgedient. Der Ex-Minister wird noch eine ganze Weile die verlorene Stellung halten müssen.

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