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Politik: Franz Müntefering, Vorsitzender der SPD

Der Vorsitzende der SPD, Franz Müntefering, äußert sich im tacheles.02-Chat zu den hohen Arbeitslosenzahlen, zum Armutsbericht, zur Abschaffung der Eigenheimzulage und verteidigt den Namen der SPD. Laut Müntefering bleibe der Abbau der Arbeitslosigkeit die wichtigste Aufgabe der Regierung. (14.03.2005)

Moderator:

Liebe Politik-Interessierte, willkommen im tacheles.02-Chat. Die Chat-Reihe tacheles.02 ist ein Format von tagesschau.de und politik-digital.de und wird unterstützt von tagesspiegel.de. Zum Chatten ist heute Franz Müntefering, Vorsitzender der SPD, ins ARD-Hauptstadtstudio gekommen. Herzlich willkommen, los gehts gleich mit dieser Frage:

Wullhorst:  Das war ja wohl nichts mit dem Versprechen des Kanzlers, Arbeitslosigkeit abzubauen. Wollte er sich nicht daran messen lassen?

Franz Müntefering:  Das bleibt die wichtigste Aufgabe. Etwas ist erreicht, aber wir wissen, weitere Anstrengungen sind nötig in Bund, Ländern und Gemeinden und ganz besonders in der Wirtschaft, denn dort entstehen Arbeitsplätze.

Moderator:  Herr Müntefering, haben Sie Verständnis dafür, wenn die Bürger der Regierung angesichts von 5,2 Millionen Arbeitslosen völliges Versagen vorwerfen?

Franz Müntefering:  Nein. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie 1998 bei Helmut Kohl plus Statistik aus Hartz IV. Das ist bedrückend viel, aber kein Grund zur Resignation. Wir sind dabei, ganz besonders die Arbeitslosen unter 25 Jahren an Qualifizierung und Beschäftigung heranzuführen. Das wird mit Hartz IV gehen wie mit der Krankenversicherung: Nach einem Jahr zeigt sich die positive Wirkung.

baby5:  Ok, mein Vater ist seit vielen Jahren arbeitslos. Das ist völliges Versagen oder, Herr Müntefering?

Franz Müntefering:  Fragt sich von wem. Vor allem Unternehmen müssen Arbeitsplätze schaffen und sie sichern. Die Politik muss Rahmenbedingungen setzten. Das haben wir z.B. mit der Steuerreform getan.

Stan:  Herr Müntefering, am 22. Mai ist Landtagswahl in NRW. Wie ist diese Wahl bei desaströsen Umfragewerten noch zu gewinnen und was kann ich als Unterstützer der SPD dazu beitragen?

Franz Müntefering: Jede Wahl ist ein Unikat und hat ihre eigenen Regeln. Wer helfen will, muss argumentieren und den Menschen die politische Situation erläutern und klar machen, dass Peer Steinbrück als Ministerpräsident in einer schwierigen Phase der Umstrukturierung für NRW der richtige Mann ist. Wahlkampf heißt kämpfen und nicht mal abwarten.

User Numer one:  Herr Müntefering! Wenn die SPD die NRW-Wahl verliert, ist eine verlorene Bundestagswahl 2006 nicht unrealistisch. Welche Ihrer unbequemen, aber notwendigen Anpassungen des sozialen Netzes würde die Union Ihrer Meinung nach rückgängig machen?

Franz Müntefering: Ihre Voraussetzung stimmt nicht, denn wir werden in NRW nicht verlieren. Die Union würde vor allem die Arbeitnehmerrechte schleifen: Weniger Kündigungsschutz, weniger Mitbestimmung, weniger Jugendarbeitsschutz. Und sie würde die solidarische Krankenversicherung in eine Kopfpauschale umwandeln.

canto_libre: Auf der SPD-Homepage schreiben Sie, die Sozialhilfeempfänger, die nun ALG II beziehen, hätten durch Hartz IV Zugang zu Förderungsmöglichkeiten. Könnten Sie einmal sagen, welche Förderung das sein soll?

Franz Müntefering: Alles, was das Arbeitsamt anbietet: Qualifizierung, Eingliederungshilfen...

hallo_münte: Halten Sie ein "Konjunkturpaket" für sinnvoll, um die deutsche Wirtschaft wieder auf "Kurs" zu bringen? Würden Sie ein erneutes Verfehlen der 3%-Defizitgrenze des Stabilitätspaktes in Kauf nehmen?

Franz Müntefering:  Entscheidend ist das Konzeptionelle und der lange Atem. Wir brauchen eine Erneuerung der Gesellschaft und der Wirtschaft, damit wir auch in Zukunft Wohlstandsland bleiben können. Konjunkturimpulse dürfen nicht kurzatmig sein, aber sie dürfen natürlich auch nicht ausgeschlossen werden. Denn Arbeit brauchen wir schnell und manche Arbeit, z.B. in den Gemeinden, wartet nur darauf, in Bewegung gesetzt zu werden. Da sind schnelle Impulse zur Schaffung von Arbeitsplätzen ganz wichtig.

bLaNG:  Nun steht mal wieder ein Spitzentreffen von Politikern der Opposition und der Regierung an. Als letztes Mal bei der Föderalismuskommission ein solches Zusammensitzen stattfand, war das Ergebnis enttäuschend und zementierte nur den Stillstand. Warum sollte das nun anders werden?

Franz Müntefering:  Gegenfrage: Warum sollte es wieder so ausgehen? Politik muss den Mut haben, Probleme immer wieder neu anzugehen. Jetzt geht es darum, die Agenda 2010 zu bilanzieren und fortzuschreiben. Ich bin sicher, uns fällt eine Menge ein, was kurz- und langfristig sinnvoll ist. Dabei brauchen wir mit unserer Mehrheit im Bundestag auch die Unterstützung des Bundesrates, CDU und CSU dürfen dort nicht blockieren.

Moderator:  War das bei der SPD eine Art Rollenspiel? Sie schimpfen gegen den Job-Gipfel und der Kanzler macht ihn?

Franz Müntefering:  Ich war sauer, weil die CDU/CSU uns die NPD anpappen wollte und weil sie Gerhard Schröder als Helfershelfer von Kinderschändern deklarierte. Da hört für mich der Spaß auf. Aber natürlich bleibt es im Interesse der Menschen unseres Landes, dass der Kanzler zum Gespräch bereit ist. Aus meiner Sicht wäre es gut gewesen, wenn Frau Merkel oder Herr Stoiber die Ausrutscher, die aus ihrer Partei kamen, klar gestellt hätten.

Moderator:  Also haben Sie sich zunächst geirrt?

Franz Müntefering: Nein. Meine Entrüstung über das Verhalten der Unionsspitze war richtig. Es bleibt aber wie gesagt vernünftig, sich jetzt wieder den politischen Problemen zuzuwenden und Lösungen zu suchen.

Logo:  Was können wir vom Reformgipfel erwarten? Sie waren ja anfangs dagegen...

Franz Müntefering:  Dass beide Seiten gründlich die Möglichkeiten erörtern, Deutschland auch langfristig als Wohlstandsland zu sichern. Das erfordert konkretes Handeln heute, z.B. im Bereich Innovationen. Das erfordert aber auch Impulse für Beschäftigung heute.

alexmmms: Herr Müntefering, guten Tag. Das bisher Gesagte hört sich sehr nach Floskeln an. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie denn noch in diesem Jahr?

Franz Müntefering:  Das mit den Floskeln ist eine Floskel. Die Entscheidung des Gipfels kann man nicht voraussagen. Am Donnerstag wird der Bundeskanzler aber in einer Regierungserklärung ausführlich über die wichtigen politischen Vorhaben der Bundesregierung informieren.

Unke: Was halten Sie vom 10-Punkte-Plan der CDU?

Franz Müntefering:  Das habe ich in der letzte Woche im Deutschen Bundestag gesagt: Die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge kostet die Agentur für Arbeit 11 Milliarden Euro pro Jahr und ist deshalb kontraproduktiv in Bezug auf die Arbeitslosen. Ihnen könnte weniger Unterstützung als bisher gegeben werden. Im Übrigen will die CDU/CSU die Arbeitnehmerrechte drastisch zusammenstreichen. Das bringt keine Arbeit und ist sicher kein Fortschritt in Sachen Demokratie. Wir wollen das nicht. Im 10-Punkte-Programm von CDU/CSU fehlen alle wichtigen Ideen und Handlungsansätze, die jetzt wieder im Gespräch sind. Allerdings haben CDU und CSU auch vorgeschlagen, größere Strukturreformen im Bereich Steuern und Bildung noch vor der Bundestagswahl 2006 voranzubringen. Das ist auch unsere Meinung. Nun muss sich herausstellen, was die Union im Konkreten meint.

ob56: Beide Seiten haben ihre Lieblingsspielzeuge. Die Union die Eigenheimzulage, die SPD den Kündigungsschutz. Klingt derzeit nicht danach, dass wirklich etwas passiert bei so einer Haltung.

Franz Müntefering:  Ich kann hier nur für die SPD sprechen. Arbeitnehmerrechte sind kein Spielzeug, sondern über die Jahrzehnte hart erkämpft. Und sie haben sich bewährt. Sie haben sozialen Frieden sichern geholfen und sie haben den Menschen relative Sicherheit gegeben. Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Betriebsverfassung und Mitbestimmung sind keine Belastung, sondern eine bewährte Form von Wirtschaftsdemokratie.

Rollo: Meinen Sie, ab Donnerstag wird ein Ruck durch Deutschland gehen?

Franz Müntefering:  Man darf nicht zu viel hineingeheimnissen, wie das einige leider schon wieder tun. Aber die Regierungserklärung und das Spitzengespräch sind besondere Ereignisse, die sicher ihre Wirkung haben. Ich bin zuversichtlich, dass sich aus diesem Donnerstag eine Reihe konkreter Maßnahmen ableiten wird. Das ist auch nötig. Deutschland braucht Zuversicht in seine Zukunftsfähigkeit. Die Agenda 2010 ist der richtige Ansatz. Sie muss jetzt weiter vorangetrieben werden.

Henrik:  Rot-Grün hatte in der letzten Woche die erste Abstimmungsniederlage im Bundestag. Sie können Ihren Kandidaten für den Wehrbeauftragten offensichtlich nicht einmal in der eigenen Fraktion durchsetzen. Sind das erste "Zerfallserscheinungen" der Koalition?

Franz Müntefering:  Das glaube ich nicht und das hoffe ich nicht. Beides war aber außergewöhnlich und natürlich für mich unangenehm. Viele waren dann aber auch erschrocken. Und vielleicht hilft das sogar.

strigga: Denken Sie nicht, dass eine Senkung der Arbeitslosenzahlen auch durch Einschnitte in die Arbeitnehmerrechte erkauft werden muss, wenn es dadurch möglich wird, die Lohnkosten zu senken? Stichwort: Gewerkschaften, Bundesverfassungsgericht. Ich habe von vielen Firmen gehört, dass sie versuchen, ihren Personalstand niedrig zu halten, um einer Betriebsratsgründung entgegen zu wirken!

Franz Müntefering:  Ich halte das für einen großen Irrtum. Es gibt tausendfach die Erfahrung, dass Gewerkschaften und Betriebsräte aktiv helfen, Betriebe zu stabilisieren und so Arbeitsplätze zu sichern oder neue zu schaffen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich in gleicher Augenhöhe begegnen. Das ist eine Frage der Würde des Menschen. Und das ist auch volkswirtschaftlich vernünftig. Es ist kein Zufall, dass Deutschland das Land mit den wenigsten Streiktagen war. Und das soll auch so bleiben. Im Übrigen sind befristete Beschäftigungen in erheblichem Maße möglich, was viele ignorieren, die den Kündigungsschutz gerne aus Prinzip weg hätten.

Nevid: Glauben Sie, dass die SPD ihrem Namen noch gerecht wird?

Franz Müntefering:  Da bin ich ganz sicher. Das Soziale und das Demokratische sind unsere Sache. Aber - wie Willy Brandt schon gesagt hat - müssen wir immer auf der Höhe der Zeit sein und den Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung begleiten und gestalten. Unsere Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bleiben bestimmend für unser politisches Handeln. Wir machen auch Fehler, wohl wahr. Aber wer macht das nicht? Und im Vergleich zur politischen Konkurrenz können wir uns gut sehen lassen, auch was Augenmaß und Verantwortung in der Sache angeht.

KeinBock:  Warum denken Sie, treten immer mehr Mitglieder aus der SPD aus?

Franz Müntefering:  Die Zahl der Austritte ist Gott sei Dank wieder gesunken. Aber sie war Ende 2003/Anfang 2004 in der Tat sehr hoch. Das hat natürlich etwas mit der Unzufriedenheit mit unserer Politik zu tun. Inzwischen hat sich da aber wieder einiges verändert. Es kommen neue junge Mitglieder und die Zustimmung zu den Grundlinien der Agenda 2010 ist auch deutlich gestiegen. Ein Grundproblem bleibt allerdings, dass der Beitritt in große Organisationen nicht mehr so populär ist wie vor 30, 40 Jahren. Das gilt aber nicht nur für uns, sondern für alle Parteien, auch Gewerkschaften und Kirchen. Gut finde ich das nicht. Denn Demokratie braucht Organisationen, die sich für sie aktiv einsetzen.

JusoMZ: Wie können die Arbeitnehmerrechte in Deutschland verteidigt werden, wenn wir in zunehmendem Konkurrenzkampf mit dem Ausland stehen, wo gerade mit niedrigeren Arbeitnehmerrechten geworben wird? Selbst in Europa gibt es hierfür noch keine Lösung. Und gerade für die neuen Ostländer sind niedrige Standards ein verbreitetes Werbemittel. Zudem können diese Länder immer mehr in einem Punkt werben: Innere Sicherheit.

Franz Müntefering:  Eine schwierige Problematik, das ist wahr. Aber wir kämpfen ja dafür, dass es besser wird und akzeptieren nicht mutlos unzureichende Verhältnisse in anderen Ländern. Gute Unternehmer wissen im Übrigen, wie wichtig Arbeitnehmerrechte in ihrem Betrieb sein können. Sie arbeiten mit ihrem Betriebsrat erfolgreich zusammen. So lassen sich manche auftretenden Probleme leichter lösen.

Ole von Beust: Warum haben Sie nicht den Mut zu einer großen Koalition, wie sie von den Menschen in diesem Lande wohl mehrheitlich herbeigesehnt wird? Die Menschen wollen keine Worthülsen mehr - sie wollen Taten.

Franz Müntefering:  Was hat das mit der Großen Koalition zu tun?

Hans Müller:  Herr Müntefering, ist der jüngste Armutsbericht nicht ein Armutszeugnis für Rot-Grün?

Franz Müntefering:  Die Armutsquote ist gestiegen, insbesondere sind Langzeitarbeitslose und alleinerziehende Frauen betroffen. Gerade für die tun wir zweierlei: Wir holen sie mit Hartz IV aus der Sackgasse der Sozialhilfe heraus und bringen sie wieder in die Vermittlung und damit an Beschäftigung heran. Zweitens gibt der Bund vier Milliarden Euro an die Gemeinden für den Ausbau der Ganztagsgrundschulen. Das erleichtert für diese Mütter die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir tun also etwas gegen das Armutsrisiko dieser Gruppe. Leider machen nicht alle Länder mit. Hessen z.B. hat die zur Verfügung gestellten Mittel für Ganztagsschulen fast völlig ungenutzt gelassen. Das ist konservative Politik von der schlechten Sorte.

Moderator:  Noch mal nachgefragt zum Thema "Große Koalition": Zeigt der Jobgipfel nicht bereits, dass es die großen Parteien nur zusammen schaffen können?

Franz Müntefering:  Das Wort "Jobgipfel" ist mal wieder so eine Erfindung von Journalisten, mit der sie eigene Vorstellungen verbalisieren - geschenkt. Es kommt darauf an, dass Bundestag und Bundesrat sich nicht blockieren. Das ist keine Frage von "Großer Koalition". Es wäre allerdings gut, wenn im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung unsere föderalen Strukturen modernisiert würden. Und vielleicht lässt sich auch dieses Thema jetzt neu in Bewegung setzen.

Moderator:  Provokative Frage zum Arbeitsstil:

Trans. P. Arentz:  Herr Müntefering, über die Qualität ihrer Politik lässt sich streiten, aber warum sind sie handwerklich so schwach? Bei Ihnen klappt ja nichts auf Anhieb.

Franz Müntefering:  Das Wort "handwerklich" sollten sie sich noch einmal überlegen... Im Ernst: Die Entscheidungen sind komplex. Und dass im Gesetzgebungsverfahren Korrekturen möglich und manchmal auch nötig sind, halte ich für selbstverständlich. Ich finde uns da nicht auffällig.

muli:  Was hindert die SPD daran, Wahlen zu gewinnen?

Franz Müntefering:  Im Zweifelsfalle die unzureichende Wahlbeteiligung. Und sicher sind die Entscheidungen des letzten Jahres auch anstrengend gewesen und haben nicht sofort die nötige Zustimmung gefunden. Wir können da besser werden, dürfen aber die Bemühung nicht aufgeben, Politik für die Zukunft zu machen und nicht allen nach dem Mund zu reden. Politik hat auch die Aufgabe, inhaltlich zu führen.

August:  Es ist immer von Wirtschaftswachstum die Rede, Herr Müntefering. Glauben Sie nicht, dass es irgendwann eine Marktsättigung gibt, so dass kein Wirtschaftswachstum mehr möglich ist und man sich mit den hohen Arbeitslosenzahlen abfinden und insbesondere damit leben muss? Also dass man neue Strategien entwickeln muss, die nicht nur auf dem prognostizierten Wirtschaftswachstum basieren?

Franz Müntefering:  Das ist ein theoretisches Problem. Die Menschheit wächst rasant und braucht auch in Zukunft viele Produkte und Dienstleistungen. Wir können also noch mehr exportieren. Es gibt aber auch bei uns im Land viel Bedarf, der neu mobilisiert werden müsste, z.B. was den Substanzerhalt von öffentlichen Einrichtungen angeht: Schulen, Straßen, etc. Ein Mangel an Wachstumsbedarf kann ich nicht sehen.

Hubert K.:  Was spricht gegen die Einführung eines einjährigen Pflichtdienstes an der Gesellschaft - wahlweise bei der Bundeswehr oder in der Altenpflege - für alle Schulabgänger (männl. u. weibl.) zugunsten der Wehrgerechtigkeit und der ganzen Gesellschaft?

Franz Müntefering:  So etwas wird von einigen von uns auch diskutiert. Überwiegend sind wir aber der Meinung, dass sich die bisherigen Systeme - Wehrpflicht, Zivildienst, freiwilliges soziales Jahr - bewährt haben.

julie: Warum soll die Eigenheimpauschale abgeschafft werden? Die SPD hat sie geschaffen und das war gut so. Es ging Ihnen darum, auch geringer Verdienenden zu Wohneigentum zu verhelfen. Und nicht darum, den Wohnungsbau zu fördern. Ich bin sehr enttäuscht. Jetzt sollen wir also den Reichen mehr und länger Miete zahlen, damit diese noch reicher werden? Schade SPD!

Franz Müntefering:  Eigenheimzulage war vor allem wichtig in einer Zeit, in der Wohnungen knapp waren. Da hat sich viel verändert. Wir brauchen jetzt dieses Geld dringlicher für Investitionen in Forschung und Entwicklung, damit wir ein innovatives Land bleiben. Im Übrigen würde die Eigenheimzulage nur Schritt für Schritt auslaufen und nicht gekappt werden.

patrick:  Es wird immer von der Senkung der Unternehmenssteuer gesprochen. Wäre es nicht viel wichtiger, den Mittelstand massiv zu unterstützen? Große Konzerne haben in den letzten Jahren nur selten ihre Mitarbeiterzahl erhöht, der Mittelstand hingegen, wenn erfolgreich, viel öfter.

Franz Müntefering:  Den Mittelstand entlasten wir gerade durch die Senkung der Einkommenssteuer, denn dort wird der Mittelstand besteuert. Die Senkung des Spitzensteuersatzes von 45 auf 42 Prozent kommt im Wesentlichen den kleinen Unternehmen zugute. Für dieses Jahr bedeutet das etwa 2 bis 3 Milliarden Euro Entlastung. Da passiert also schon etwas. Aber natürlich müssen die großen Unternehmen ihre steuerlichen Entlastungen nutzen, um Arbeit zu schaffen. Einige von ihnen können da wirklich besser werden.

Moderator:  Zwei Fragen mit ähnlicher Stoßrichtung:

HakanA:  Hallo Herr Müntefering. Was halten Sie davon, dass zahlreiche Unternehmen wie die Deutsche Bank, trotz der Gewinne Stellen abbauen wollen? Finden Sie nicht, dass der Staat da mal eingreifen sollte?

Fortuna:  Mein Vater hat schon in den 60gern gesagt: "Wenn die Industrialisierung so weiter geht, müssen wir eine Maschinensteuer erheben." Nun haben die ganzen Erleichterungen, die die Wirtschaft bekommen hat, in keinster Weise zu den dafür versprochenen Arbeitsplätzen geführt. Muss man die Wirtschaft jetzt nicht endlich konkret FORDERN?

Franz Müntefering:  Das mit der Deutschen Bank finden wir natürlich nicht gut, können es aber leider nicht verhindern. Die Steigerung der Produktivität über Jahrzehnte hat in der Tat Arbeitsplätze, vor allem einfache, wegfallen lassen. Ohne sie wäre der Wohlstand allerdings nicht so gewachsen, denn die Produktivitätssteigerung bedeutet immer auch mittelfristig Senkung der Produktionskosten. Das ist ein Interessenkonflikt, aus dem man nicht leicht herauskommt. Für die langfristige Sicherung des Wohlstandes in unserem Land ist meines Erachtens die Verbesserung der Produktivität aber unvermeidlich gewesen.

Moderator:  Weil es um die Reichen geht, oder zumindest um die ehemals Reichen:

Ein Wort zum BVB: Der Verein ist in seiner Existenz bedroht. Ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Gesellschaft zwischen Größenwahn und Verunsicherung wankt und das rechte Maß verloren hat?

Franz Müntefering:  Kann ja sein. Aber als Westfale wünsche ich dem BVB, dass er den Kopf oben behält und vor allem bald wieder genügend Tore schießt. Glück auf!

Moderator:  Das war´s, unsere Chat-Stunde ist vorbei. Vielen Dank für das große Interesse und die äußerst zahlreich eingegangenen Fragen. Vielen Dank, Herr Müntefering, dass Sie zum Chatten gekommen sind. Das Protokoll des Chats finden Sie wie gewohnt zum Nachlesen auf den Seiten der Veranstalter. Das tacheles.02-Team wünscht allen noch einen schönen Tag!

Franz Müntefering:  Dann bedanke ich mich auch für die kritischen Fragen. Ich weiß, die Zeit ist anstrengend, Politik auch, aber ich bin sicher, wir machen das Beste daraus. Ich wünsche Ihnen alles Gute. ()

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