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Politik: Franzosen protestieren weiter

Wieder fordern Hunderttausende die völlige Rücknahme des umstrittenen Beschäftigungsgesetzes

Zum fünften Mal innerhalb von zwei Monaten demonstrierten am Dienstag Hunderttausende Franzosen mit Arbeitsniederlegungen und Protestmärschen gegen das Beschäftigungsgesetz für Berufsanfänger. In Paris und den großen Städten der Provinz forderten die vor allem jugendlichen Teilnehmer der Kundgebungen die „völlige Rücknahme“ des Gesetzes. Präsident Jacques Chirac hatte es am Wochenende in Kraft gesetzt. Auf seine Anweisung soll der umstrittene „Contrat première embauche“ (CPE), der Erstanstellungsvertrag für Jugendliche unter 26 Jahren, aber erst nach einer Revision durch ein neues Gesetz zur Anwendung gelangen. In seiner neuen Form soll die Probezeit nur ein Jahr statt zwei Jahre betragen. Kündigungen während dieser Zeit sollen nun doch begründet werden müssen.

Die gestrigen Demonstrationen fanden damit in einem radikal veränderten politischen Umfeld statt. Der CPE in seiner ursprünglichen Form, so wie von dem konservativen Premierminister Dominique de Villepin gewollt, ist praktisch tot, wie der frühere konservative Premierminister Edouard Balladur sagte. Der Regierungschef erscheint seiner Handlungsmöglichkeiten enthoben, während die Gewerkschaftsführer angesichts der wieder offen zu Tage getretenen Rivalität zwischen Villepin und dem Präsidenten der Regierungspartei UMP, Nicolas Sarkozy, neuen Gesprächen über einen Ausweg aus der Krise mit Misstrauen entgegensehen. Sie sollen am heutigen Mittwoch an einem „neutralen Ort“ stattfinden. Vorschläge für das Revisionsgesetz sollen dann von einer zehnköpfigen Arbeitsgruppe von Abgeordneten aller Fraktionen ausgearbeitet und nach den parlamentarischen Osterferien von der Nationalversammlung debattiert werden.

Der CPE sei noch lange nicht begraben, erklärte der Generalsekretär der Force Ouvrière, Jean-Claude Mailly. Wie er bekundeten jedoch auch die anderen Gewerkschaftsführer Gesprächsbereitschaft. Alle aber machten die Aufhebung des CPE zur Vorbedingung. „Wir lassen uns nicht an der Nase herumführen“ erklärte der CGT-Vorsitzende Bernard Thibault. Er spielte damit auch auf die Widersprüche an, die im Regierungslager seit dem Vorpreschen des UMP-Vorsitzenden und Innenministers Sarkozy aufgebrochen sind. Dieser hatte am Wochenende die Rolle des Krisenmanagers an sich gerissen und den Gewerkschaftsführern in Telefongesprächen weitgehende Avancen gemacht. Über alles könne gesprochen werden, erklärte er ihnen. Daraus hatten einige geschlossen, dass der CPE vom Tisch sei. Anfang der Woche wurde Sarkozy dann aber von Chirac zurückgepfiffen. Die Vorschläge zur Überwindung der Krise würden in „völliger Kohärenz“ mit Premierminister de Villepin, den Fachministern und den Fraktionsvorsitzenden in Nationalversammlung und Senat formuliert, ließ Chirac nach einem Gespräch mit Sarkozy verlauten. Wie weit Sarkozy dem Rivalen Villepin schon die Führung des Regierungslagers entrissen hat, bleibt also abzuwarten. Die sozialistische Opposition mokierte sich indes bereits über die „Karikatur“ einer Regierung mit einem „virtuellen Premierminister“, der keine Macht mehr habe, und einem „wirklichen Regierungschef“, von dem man nicht wisse, welche er habe.

Ein Ausweg aus der Krise ist damit noch nicht in Sicht. Am gestrigen Streiktag kam es zwar zu weniger Störungen des öffentlichen Lebens durch Arbeitsniederlegungen. Die Beteiligung an den Protestkundgebungen war nach Schätzungen so groß wie vor einer Woche. Im Flugverkehr wurden 30 Prozent der Flüge annulliert, es gab nur geringe Verspätungen. Drei von vier TGV verkehrten, ebenso andere Fernzüge. Im Pariser Raum war der Verkehr fast normal. Schwierig ist die Lage weiterhin an Schulen und Hochschulen. An zwei Dritteln der Universitäten ist der Lehrbetrieb unterbrochen oder gestört. Die Auseinandersetzungen zwischen Blockierern und Lernwilligen, die die Prüfungen zum Ende des Studienjahrs fürchten, nehmen zu.

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