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Freie Wahlen: Polen: Der Anfang vom Ende des Kommunismus

Vor 20 Jahren erkämpfte sich Polens Opposition das Zugeständnis zu den ersten halbwegs freien Wahlen. Bis heute herrscht Streit um die Aufarbeitung der Vergangenheit

Die richtige Reihenfolge ist für Warschau sehr wichtig. Es ärgert viele Polen, dass in den Geschichtsbüchern die fallenden Betonteile der Berliner Mauer als Symbol für das Ende des Kommunismus gezeigt werden. Schließlich waren sie es, die die Demontage des Unterdrückungssystems in Angriff genommen hatten. Zuerst erstritten sie sich 1989 das Wahlrecht, dann wurden in Ungarn die Grenzen geöffnet und erst danach fiel die Mauer.

Der Anfang vom Ende begann am 6. Februar 1989, als in Warschau die Vertreter der kommunistischen Staatspartei mit den Oppositionellen am Runden Tisch über die zukünftige Machtverteilung verhandelten. Das Regime sah sich wegen der desolaten Wirtschaftslage und der anhaltenden Streiks zu diesem Schritt gezwungen. Nach zwei Monaten einigte man sich am Runden Tisch darauf, am 4. Juni die ersten halbwegs freien Wahlen abzuhalten. Das Regime glaubte, dadurch die Opposition kontrollieren zu können, die Schalthebel der Macht aber in den Händen zu behalten.

Hätten die Vertreter des Regimes geahnt, welchen Verlauf die Geschichte nehmen würde, sie hätten diesem Ablauf wohl nie zugestimmt. „Die waren überzeugt davon, dass das Volk hinter ihnen steht“, erinnert sich Henryk Wujec, der damals für die Gewerkschaft Solidarnosc am Verhandlungstisch saß. Die Kommunisten rechneten wohl damit, dass die Opposition die Wähler nicht mobilisieren könnte. „Wir hatten keine Mittel“, erinnert sich Wujec, „keine Struktur, kein Papier, kein Radio, kein Fernsehen, nichts“. Zudem war Solidarnosc damals nicht mehr die machtvolle Kraft, als die sie im Ausland im Rückblick gesehen wird. Die Jahre des Kriegsrechts hatten den Widerstandswillen ausgehöhlt, sagt Wujec. Auch sollten bei den Wahlen am 4. Juni 1989 nur 35 Prozent der Sitze im Parlament frei vergeben werden. Nichts verdeutlicht mehr, dass das Regime die Reformen lediglich als Ventil für den Unmut der Bürger vorgesehen hatte.

Doch die Abstimmung wurde für die herrschende Klasse zum Desaster. Eine überwältigende Mehrheit stimmte für den Wechsel. Es zeigte sich, dass die kommunistische Partei praktisch keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung hatte. Diese Niederlage wirkte wie ein Dammbruch. Innerhalb weniger Monate brach die Partei in sich zusammen. Zwar wurde General Jaruzelski im Juli 1989 von einer Versammlung aus Sejm und Senat noch zum ersten Präsidenten gewählt, doch die Regierungsbildung scheiterte kläglich. Das war die Stunde des Oppositionspolitikers Tadeusz Mazowiecki, der als erster nichtkommunistischer Premier im Ostblock im August 1989 ein Kabinett bildete. Ende 1990 wurde Lech Walesa vom Volk zum Präsidenten gewählt, im Oktober 1991 gab es erstmals freie Wahlen.

Die polnische Gesellschaft hadert allerdings noch heute damit, dass die Verbrechen der Kommunisten nicht rigoros verfolgt wurden. Zu viele der ehemals Mächtigen hätten es sich nach der Wende mit ihren Seilschaften im neuen Staat bequem machen können. Eine späte Folge dieser Versäumnisse war 2005 die Wahl der national-konservativen Regierung der Brüder Kaczynski. Sie versprachen dem Volk die brutale Abrechnung mit der Vergangenheit. Doch die Radikalität, mit der Premier Jaroslaw Kaczynski ans Werk ging, verschreckte die Polen, und sie wählten die Regierung 2007 wieder ab. Allerdings hat sich gezeigt, dass viele unzufrieden damit sind, was 1989 am Runden Tisch ausgehandelt wurde. Der Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse hat in Polen erst begonnen.

Knut Krohn[Warschau]

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