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Protest gegen die Freihandelsabkommen.

© dpa

Freihandelsabkommen Ceta und TTIP: Erst Kanada, dann die USA

Der Handelspakt zwischen der EU und Kanada gilt als Blaupause für das Abkommen mit den USA. Auch er enthält das so heftig umstrittene Klagerecht für Konzerne gegen Staaten - und andere problematische Stellen.

Die Geheimniskrämerei endet am Freitag um 15 Uhr. Dann wird die EU-Kommission den 1500 Seiten langen Text des Comprehensive Economic and Trade Agreement (Ceta) veröffentlichen, über den sie fünf Jahre lang hinter verschlossenen Türen mit der kanadischen Regierung verhandelt hat. Kurz darauf wird es in Ottawa von Kommissionschef José Manuel Barroso beim Gipfeltreffen mit Kanadas Premier Stephen Harper als das ambitionierteste Freihandelsabkommen in Europas Geschichte gefeiert werden. Doch der Streit über den Vertrag ist damit nicht beendet.

Warum ist das europäisch-kanadische Abkommen so brisant?

Lange hat sich kaum jemand für das Projekt interessiert. Erst die Kritik an der mit den Vereinigten Staaten geplanten Freihandelszone, abgekürzt TTIP, lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass die EU mit den Kanadiern bereits eine Art Blaupause für das Großvorhaben schafft, das im nächsten Jahr präsentiert werden soll. Entsprechend fordern die Gegner das Aus für beide Abkommen.

Erst mit der Veröffentlichung wird wirklich klar, was zur Annahme oder Ablehnung auf dem Tisch der europäischen Regierungen, des Europaparlaments und möglicherweise auch des Bundestags liegt. Denn bisher haben nur einige hundert Seiten und die groben Fakten ihren Weg in die Öffentlichkeit gefunden.

Was soll der Vertrag bringen?

Das Handelsvolumen soll zwischen beiden Partnern, wenn 98 Prozent der Zollschranken fallen und die neuen Einfuhrregeln greifen, um fast ein Viertel steigen, Europas Wirtschaft um zwölf Milliarden Euro im Jahr wachsen. Das ist viel Geld, entspricht aber andererseits nur rund 0,1 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung. Der Dienstleistungssektor für Banken, Versicherungen oder im Schifffahrtssektor wird liberalisiert, europäische Unternehmen können künftig an öffentlichen Ausschreibungen selbst der kanadischen Provinzen teilnehmen. Und dann sind da die heiklen Bereiche Lebensmittel und Investitionsschutz.

Als Verhandlungserfolg wertet die europäische Seite im Agrarbereich, dass geografische Herkunftsbezeichnungen geschützt bleiben. Die Kanadier können somit auch künftig keinen „Parma Ham“ oder ihr eigenes „German Beer“ in Europa verkaufen. Zudem darf die EU mehr Käse nach Kanada liefern – 18 500 Tonnen mehr, um genau zu sein. Im Gegenzug dürfen zusätzlich 75 000 Tonnen Schweinefleisch und 45 838 Tonnen Rindfleisch in die EU importiert werden.

Und weil gerade hormonbehandeltes Fleisch auch eines der größten Aufregerthemen rund um die Gespräche mit den USA ist, sagt einer der Verhandler mit Kanada: „Wir werden von nirgendwoher hormonbehandeltes Rindfleisch importieren – weder aus Kanada oder aus den USA noch vom Mond.“ Und auch der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange, der Vorsitzende des Handelsausschusses, erkennt an, dass der mit Kanada gefundene Kompromiss durchaus Vorbildcharakter haben könnte, weil sich das Land dazu verpflichtet hat, eine eigene Rindfleischproduktion ohne Hormone aufzubauen. Lange hält Ceta daher für „ein relativ gutes Abkommen“.

Die Haken des Papiers

Welche Passagen sind problematisch?

„Ein Abkommen mit ISDS wird keine Mehrheit im Europaparlament finden“, sagt Lange. Hinter der Abkürzung verbirgt sich das „Investor State Dispute Settlement“, ein Schiedsverfahren, das Investoren Klagen gegenüber Staaten vor einer Art Privatgericht ermöglicht. Einst als Absicherung gegen willkürliche Enteignungen ausländischen Kapitals in Unrechtsregimen gedacht, besteht nun die Sorge, Konzerne könnten Schadenersatz einklagen, wenn neue Umwelt- oder Sozialgesetze ihren Gewinn schmälern. „Mit Ceta würde eine intransparente Paralleljustiz mit Sonderrechten für Konzerne etabliert“, kritisiert beispielsweise Roland Süß vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac.

In Deutschland sind diese Bedenken längst in der Regierung angekommen. Die Sozialdemokraten fordern Nachverhandlungen, die der scheidende EU-Handelskommissar ablehnt. „Wenn wir die Verhandlungen neu eröffnen, ist das Abkommen tot“, sagte Karel De Gucht in einem Interview. Seine Behörde wirbt für den bestehenden Text – unter anderem mit neuen Sicherheitsgarantien, damit die Schiedsgerichte nicht missbraucht werden. So sollen sie einem der Verhandler zufolge nur noch in wenigen Fällen angerufen werden können – etwa bei Enteignungen ohne Entschädigung oder einer Diskriminierung gegenüber inländischen Unternehmen. Attac spricht freilich von „schwammigen Formulierungen“. Und auch dem Ausschussvorsitzenden Lange reicht das nicht, weil er – in Verträgen zwischen Rechtsstaaten erst recht – grundsätzliche Bedenken gegen das Instrument hat, für das es „auch keinen ökonomischen Grund gibt: Brasilien etwa hat keine ISDS-Regelung und dort wird trotzdem wie wild investiert“.

Wie reagiert Brüssel auf die Kritik der Mitgliedstaaten?

Angesichts der lauten Kritik zeigt man sich in der Brüsseler Behörde verwundert, dass die Mitgliedstaaten noch keinen Versuch unternommen haben, diesbezüglich die Verhandlungsleitlinien zu ändern, nach denen sich die Verhandlungsführer zu richten haben: „Sie könnten jederzeit das Mandat ändern.“ In der Bundesregierung wird zugegeben, dass die EU-Kommission darin tatsächlich noch immer aufgefordert ist, über Investitionsschutz zu verhandeln. Andererseits seien die Bedenken gegen die Schiedsgerichte in den wöchentlichen Expertensitzungen in Brüssel klar angesprochen worden. Der Verweis auf das Mandat sei, so ein EU-Diplomat, „eine klassische Halbwahrheit“.

Hinter den Kulissen gibt es dennoch Kompromissbereitschaft. So ließ sich die Kommission darauf ein, den Vertrag noch nicht zu parafieren – was als erster halboffizieller Akt auf dem Weg zur Ratifizierung gilt. „Alles kann geändert werden, solange die Tinte noch nicht trocken ist“, sagt ein hochrangiger Beamter dazu: „Die EU-Kommission steht zu dem Text, die EU als Ganzes noch nicht – wir werden sehen, was die weiteren Gespräche bringen.“ Denn es gibt auch in Kanada eine Debatte über die Schiedsgerichte, da ein kanadisches Unternehmen gerade die Regierung verklagt hat, weil ihm die Genehmigung zur Schiefergasgewinnung entzogen wurde.

Schließlich hat die EU-Kommission im Frühjahr selbst eine öffentliche Anhörung zu den Schiedsgerichtsverfahren eingeleitet, deren Ergebnisse im November oder Dezember erwartet werden. Sollten die dem bisherigen Ansatz bei den Ceta- und TTIP-Abkommen widersprechen – so der Sozialdemokrat Lange, „dann muss man ohnehin nachverhandeln“.

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