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Gustl-Mollath vor Journalisten

© dpa

Freilassung von Gustl Mollath: Ein Schriftstück, das alles verändert

Ein unscheinbares Stück Papier ist zum Wendepunkt im Mollath-Prozess geworden: Weil das Attest, das die Verletzungen seiner Frau dokumentierte, nicht von der angegebenen Ärztin stammte, wird das Strafverfahren gegen Mollath erneut aufgenommen. Nun ist wieder alles offen.

Am Ende ist es ein per Fax versandtes Schriftstück, das Gustl Mollath nun die Freiheit beschert. Es handelt sich um ein ärztliches Attest vom 3. Juni 2002, eine Zweitschrift, ausgestellt vom approbierten Mediziner Markus R. Der Arzt hatte Mollaths damalige Ehefrau unmittelbar nach den angeblichen Übergriffen, im August 2001, untersucht und bei ihr Verletzungen festgestellt. Er war damals noch nicht Facharzt, unterschrieb aber auf dem Briefbogen seiner Mutter Madelaine R., die die Praxis führte. Für flüchtige Leser kaum merklich, setzte er ein „i.V.“ dazu, „in Vertretung“. In Vernehmungen bestätigte der Mediziner zwar seinen Befund von damals, trotzdem warf das Papier, das in die Akten des Strafverfahrens gegen Mollath einging und auf dem später sein Urteil beruhte, eine umstrittene Frage auf: Handelte es sich um eine „unechte“ Urkunde?

Ja, sagt nun das Oberlandesgericht Nürnberg, Nein hatte zuvor noch das Landgericht Regensburg gesagt. Die Antwort ist entscheidend. Denn die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Angeklagten ist möglich, „wenn eine in der Hauptverhandlung zu seinen Ungunsten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war“. So steht es in der Strafprozessordnung. Unecht ist eine Urkunde, wenn sie auf einen Aussteller hinweist, von dem die Erklärung tatsächlich nicht stammt.

Die komplette Neuauflage eines bereits durch alle Instanzen geführten Verfahrens ist eine Ausnahme im Rechtsstaat, für den die Rechtskraft von Gerichtsurteilen und die dadurch geschaffene Sicherheit ein großer Wert ist. Aber wenn es im Einzelfall zu Fälschungen gekommen war oder neue Beweise auftauchen, die im Prozess noch unbekannt waren, wäre das Aufrechterhalten von Urteilen unerträglich. Dies zu belegen ist jedoch nicht so einfach, wie jetzt auch der Fall Mollath zeigt.

Eine Urkunde, die alles verändert

Das Landgericht Regensburg hatte das Attest noch als „echte“ Urkunde deklariert, mit einem durchaus pragmatischen Argument: Der Unterzeichner sei ein berechtigter Vertreter seiner Mutter gewesen, und das Dokument habe mit dem Zusatz „i.V.“ auch angegeben, dass es vertretungsweise ausgestellt worden sei. Auch die Formulierung, „die bei uns durchgeführte Untersuchung“, weise auf diesen Umstand hin. Wenn das verurteilende Gericht dies nicht erkannt haben sollte, sei dies unerheblich: Ein Irrtum des Lesers könne aus einer echten Urkunde keine unechte machen.

Diesen wichtigen Punkt sah das Oberlandesgericht nun anders, als es den Beschluss der Vorinstanz kontrollierte: Das Attest selbst nenne nur den Namen der Praxisinhaberin, so dass der Eindruck entstanden sei, diese gebe ihre eigenen Feststellungen wieder. Der Vertretungszusatz sei nur durch eine „übermäßige Vergrößerung der Urkunde“ erkennbar. Zwar könne es durchaus berechtigte Vertretungen geben, allerdings nur bei „geschäftlichen Erklärungen“ und nicht, wenn ein Arzt, wie hier, seine „höchstpersönlichen Wahrnehmungen wiedergibt“.

Ein einziger Grund, der durchgreift, genügt, um den Fall wieder aufzurollen. Deshalb hat das Gericht auch weitere Punkte für eine mögliche Wiederaufnahme nicht geprüft, etwa die Belege für Mollaths Behauptungen zu Schwarzgeldverschiebungen. Ob und welche Rolle sie spielen, wird das Landgericht beurteilen, wenn es die Anklagevorwürfe erneut untersucht.

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