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Politik: Freispruch nach Brechmittel-Tod

Einsatz gegen Bremer Drogenhändler bleibt unbestraft / „Arzt überfordert“

Bremen - Der tödliche Brechmittel-Einsatz gegen einen mutmaßlichen Kokainhändler in Bremen bleibt unbestraft: Das Landgericht Bremen hat am Donnerstag den verantwortlichen Auftragsarzt der Polizei vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Der 44-Jährige habe zwar „eine Reihe von objektiven Pflichtverletzungen“ begangen, doch sei ihm subjektiv keine Schuld nachzuweisen, da er unerfahren und überfordert gewesen sei. Neben dem Verteidiger hatte am Ende des fast achtmonatigen Prozesses auch die Staatsanwältin auf Freispruch plädiert. Die aus Afrika angereisten Angehörigen hatten dagegen als Nebenkläger eine Verurteilung gefordert. Sie können jetzt Revision einlegen. Der Arzt hatte Ende 2004 dem mutmaßlichen Drogenhändler Brechsirup und literweise Wasser per Schlauch in den Magen gepumpt, um verschluckte Kokainkügelchen als Beweismittel sicherzustellen. Dabei geriet Wasser in die Lunge. Der 35-Jährige, der einen zunächst unerkannten Herzfehler hatte, fiel ins Koma und starb dann elf Tage später.

Nach Ansicht der Kammer war der Einsatz nach damals gültiger Rechtslage grundsätzlich legal. Allerdings hätte ein erfahrener Arzt ihn abgebrochen, nachdem das Opfer nicht mehr ansprechbar gewesen und aus Mund und Nase weißer Schaum gequollen sei. Durch einen Abbruch hätte sich „der Tod vermeiden lassen“, meinte das Gericht.

Der angeklagte Gerichtsmediziner habe aber offenbar nicht das Risiko erkannt – erstmals war er für einen solchen Einsatz verantwortlich und damit überfordert gewesen. Außerdem habe er sich auf einen zwischendurch hinzugezogenen Notarzt verlassen, gegen den ein Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt wurde. Nach Ansicht des Kammervorsitzenden Bernd Asbrock hatte eine „Vielzahl von Versäumnissen, individuellen Fehlern und strukturellen Missständen“ zu dem Todesfall beigetragen. „Auch für Bremen hätte sich aufdrängen können und müssen“, so Asbrock, dass einem solchen Arzt nicht eine solche Aufgabe übertragen werden dürfe. Der Mediziner war bei einem privat geführten Beweissicherungsdienst angestellt.

Bereits Ende 2001 war in Hamburg ein 19-Jähriger nach einem Brechmitteleinsatz gestorben, ohne dass die Verantwortlichen dafür bestraft worden wären. Erst nach dem Bremer Todesfall wurde an der Weser 2005 die Zwangsvergabe von Brechmitteln gestoppt. 2006 stufte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Zwangsvergabe von Brechmitteln allgemein als unmenschlich und erniedrigend ein – „zu Recht, wie dieser Prozess deutlich gemacht hat“, sagte Asbrock.

Während der nicht vorbestrafte Kokain-Kleinhändler bereits im Koma lag, hatte der damalige Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) die Brechmittelvergabe zunächst mit den Worten verteidigt, „Schwerstkriminelle“ müssten nun mal „mit körperlichen Nachteilen“ rechnen. Die Grünen brachten daraufhin erfolglos einen Misstrauensantrag gegen ihn ein.

Zu Beginn des Prozesses im vergangenen April hatte der angeklagte Arzt über seinen Anwalt erklären lassen, er bedauere „zutiefst“, dass der junge Mann ums Leben gekommen sei. Zum Tatvorwurf wollte er sich aber nicht äußern. Die Mutter des Toten hat inzwischen 10 000 Euro Schmerzensgeld vom Land Bremen erhalten. Sie und der Bruder des Getöteten traten in dem Strafprozess als Nebenkläger auf. Ihre Anwältin forderte im Schlussplädoyer als Einzige eine Bestrafung des Angeklagten. Sie will jetzt prüfen, ob sie Revision beim Bundesgerichtshof einlegt. Eckhard Stengel

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