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© dpa

Fremdenfeindlichkeit: Ausländer in Moskau fürchten Hitlers Geburtstag

Ausgerechnet in Russland, wo Hitlers Angriffskrieg Millionen Menschen getötet hat, feiern Rechtsradikale seinen Geburtstag. Neo-Faschisten machen jedes Jahr am 20. April Jagd auf Studenten aus Afrika und Asien.

Dass ausländische Studenten in Russland an diesem Sonntag in den schützenden Mauern ihrer Wohnheime bleiben sollten, liegt nicht am zu erwartenden schlechten Wetter. Ausgerechnet in Russland, wo Adolf Hitler Tod und Verderben über viele Millionen Menschen gebracht hat, "feiern" Rechtsradikale alljährlich am 20. April den Geburtstag des Nazi-Diktators mit einer Jagd auf Studenten aus Afrika und Asien. Auch dunkelhäutige Arbeiter aus dem Kaukasus müssten Attacken von Skinheads und anderen Rechtsradikalen fürchten, warnt Alexander Brod vom Moskauer Büro für Menschenrechte.

"Warum sollen wir drinnen bleiben? Nicht wir, sondern die Rechtsextremen gehören eingesperrt", klagt der Kenianer James Ngeny trotzig. In einem T-Shirt mit der Aufschrift "Bob Marley" sitzt der Biologie-Student, einer von rund 80.000 Ausländern an Russlands Universitäten, in der Gemeinschaftsküche seines Wohnheims im Moskauer Süden. "Wir müssen etwas gegen die Neonazis tun", fordert der 23- Jährige und spricht von "Gegenmaßnahmen" am Sonntag. "In St. Petersburg und Nischni Nowgorod überlegen ausländische Studenten, demonstrativ gemeinsam auf die Straße zu gehen", erzählt Ngeny.

Neonazis in den Reihen der Polizei?

"Wir vertrauen der Polizei nicht. Die hat in ihren Reihen selbst Neonazis", sagt sein Mit-Student Tengku Ahmad. Der Malaysier teilt sich im selben Wohnheim mit einem polnischen Studenten ein etwa zehn Quadratmeter kleines Zimmer im 12. Stock. Seinem Kommilitonen aus Poznan (Posen) sei die extremistische Gefahr für den Mitbewohner ziemlich egal, klagt der 22-Jährige. "Ich wünsche mir aber in Russland ein gesellschaftliches Klima, das Übergriffe auf Ausländer stärker verurteilt", betont der angehende Maschinenbauer. Auch über das Wohnheim klagt er: Der Müllschacht sei verstopft, und Post aus seiner Heimat liege oft wochenlang bei der Verwaltung herum.

Das russische Innenministerium wehrt sich gegen Vorwürfe, es verharmlose rechte Gewalt. Die Polizei werde am Wochenende verstärkt Präsenz zeigen sowie kompromisslos und "besonders aufmerksam" sein, sagte Innenminister Raschid Nurgalijew der Agentur Interfax. Doch nach Beobachtung von Brod unterschätzen die Behörden das Ausmaß von Fremdenhass. Seit Jahresbeginn seien in Russland 57 Menschen dem Extremismus zum Opfer gefallen. "Darunter sind zahlreiche Kirgisen, Usbeken, Aserbaidschaner und Tadschiken", zählt er auf. Besondere Risikogebiete für Dunkelhäutige seien Moskau und St. Petersburg sowie die Regionen Swerdlowsk im Mittel-Ural und Twer an der Wolga.

70.000 Skinheads in Russland?

Nach Untersuchungen von Brods Büro existieren mindestens zehn rechtsextreme Gruppierungen und rund 800 russische Internetseiten neofaschistischer Ausrichtung. Allein die Skinhead-Bewegung besitze 70.000 Sympathisanten in Russland, klagt der Menschenrechtler. Dass Hitler hier von Zehntausenden geehrt wird, zählt zu den Absurditäten des politischen Extremismus. Ignoriert wird, dass er Russen als "nichtarische Untermenschen" unterwerfen wollte. Hitlers Streben nach einer autoritär geführten Volksgemeinschaft und seine Rassenideologie finden jedoch beim damaligen Kriegsgegner bis heute Nachahmer.

Zwar stellten vor wenigen Wochen russische Parlamentarier Pläne gegen extremistische Internetseiten vor. Danach müssten sich Seiten mit über 1000 Zugriffen täglich registrieren lassen. Experten halten eine Umsetzung aber für unrealistisch. "Auch andere Länder haben Probleme mit Neofaschismus, aber sie bekämpfen ihn aktiver als Russland", meint die aus Kirgistan stammende Maria Tschudinowa, die mit Ngeny und Ahmad studiert. Sie kenne ausländische Studenten, die wegen der Rechtsextremen in ihre Heimat zurückgekehrt seien. "Ich kann mir das nicht vorstellen. Aber wer weiß, wie ich nach dem 20. April denke? Vielleicht fühle ich mich dann hier nicht mehr sicher."

Wolfgang Jung[dpa]

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