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Politik: Freundliche Übernahme

NVA und Bundeswehr: Nach 15 Jahren ist beim Militär längst zusammengewachsen, was überhaupt nicht zusammengehörte

Von Matthias Schlegel

Als der Bausoldat Rainer Eppelmann 1964 seinem Politoffizier gegenübersaß, sagte der zu ihm: „Sie sehen vor sich den künftigen Oberbürgermeister von Köln – denn wir werden den Klassenfeind auf seinem Territorium schlagen.“ Der Traum des Mannes ging bekanntlich nicht in Erfüllung. Doch auch für sein Gegenüber, der den Dienst mit dem Spaten dem mit der Waffe vorgezogen hatte, verlief alles ganz anders, als er es sich hätte träumen lassen. Im Jahr 1990, sitzt der einstige Bausoldat wieder einem Offizier der Nationalen Volksarmee (NVA) gegenüber. Der Oberst sagt zu ihm: „Ich verstehe mich als Abrüstungsoffizier.“ Eppelmann ist inzwischen dessen oberster Dienstherr: Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR. Und er hat keinen Zweifel an der Ehrlichkeit seines Gegenüber. Wenige Monate später geht die NVA in der Bundeswehr auf.

Dass die Armeen, die sich an der Nahtstelle der hochgerüsteten militärischen Blöcke auf Sichtweite gegenüberstanden, innerhalb historisch kürzester Frist zusammenwuchsen, gehört zu den Wundern der deutschen Einheit. Undenkbar wäre das ohne die vorausgegangene friedliche Revolution in der DDR gewesen. Sie hatte bewirkt, dass zwischen Prora und Löbau ein Feindbild zerbröselt, ein von Drill und Unterwerfung geprägtes militärisches System zusammengebrochen, ein von der SED durchideologisierter Apparat zerfallen war.

Unter dem Druck der Ereignisse im Land und der unaufhaltsamen Delegitimierung der politischen Führung hatte Admiral Theodor Hoffmann am 18. November 1989 den bisherigen Verteidigungsminister Armeegeneral Heinz Keßler abgelöst. Wegen der vielen, kaum noch zu kontrollierenden Demonstrationen in den Städten waren zwar NVA-untypische, flexible Hundertschaften gebildet worden, und es wurde auch schon mal für den südlichen Militärbezirk erhöhte Gefechtsbereitschaft ausgerufen – aber zu einem Eingreifen der Armee gegen die eigene Bevölkerung kam es nicht. Doch ohnehin war innerhalb der Truppe längst Unmut über Missstände, Demokratiedefizite und unfähige Vorgesetzte laut geworden. Hoffmann sollte die Militärreform organisieren und die Demoralisierung der Truppe aufhalten.

Als Eppelmann nach der Wahl vom 18. März 1990 als erster ziviler Verteidigungsminister der DDR das Ruder von dem Marine-Admiral übernahm, stieß er auf eine Generalität, die zu „konstruktiver und sachlicher Zusammenarbeit bereit war“. Der Pfarrer und Pazifist hatte den Posten nur angenommen, nachdem ihm Regierungschef de Maizière zugesagt hatte, dass in seinem Titel die „Abrüstung“ der „Verteidigung“ vorangestellt werde. Und Eppelmann hatte zu diesem Zeitpunkt noch die Vorstellung, dass es bei der Existenz zweier Armeen auf deutschem Boden bleiben werde – die keinem Militärbündnis angehören würden. Doch nach dem Gespräch von Helmut Kohl mit Michail Gorbatschow am 14. Juli im Kaukasus war klar, dass das Ja der sowjetischen Seite zur Nato-Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands auch bedeutete: In Deutschland würde es künftig nur noch eine Armee geben.

Nun galt es, die Streitkräfte der DDR kompatibel zu machen für die Verschmelzung mit der Bundeswehr. Rückblickend resümiert Eppelmann: „Es war einfacher, als wir uns das vorgestellt hatten. Denn es stellte sich schnell heraus, dass es viele Ähnlichkeiten gab: menschlich wie auch in der Dienstauffassung. Und die Unteroffiziere und Offiziere waren durchaus keine tausendprozentig überzeugten Funktionäre von Honecker und der SED.“

Gleichwohl machten sich Unruhe und Zukunftsängste in der Truppe breit. Schon Anfang 1990 waren die SED-Parteiorganisationen und danach die Politorgane in den Regimentern und Bataillonen aufgelöst worden. Die überdimensionierte Armee wurde im Rahmen der Militärreform und einer Reduzierung der Wehrpflichtdauer von achtzehn auf zwölf Monate immer schlanker. Nach Erkenntnissen des Militärgeschichtlichen Forschungsamts in Potsdam hatte sich die Personalstärke schon zwischen Ende 1989 und Frühjahr 1990 durch Entlassungen und Fahnenflucht um knapp 50000 Mann auf etwa 73 Prozent reduziert.

Verfügte die NVA über einen Offiziersanteil von 35 Prozent, lag dieser in der Bundeswehr nur bei neun Prozent. Waren alle Politoffiziere ohnehin schon entlassen worden, konnten sich auch die Dienstränge vom Oberst an aufwärts keine Hoffnung auf Übernahme in die Bundeswehr machen. Über 50-Jährige hatten generell kaum noch Chancen. Aussortiert wurden auch jene, die für die Staatssicherheit gearbeitet hatten. Am Ende sind es rund 90000 NVA-Angehörige, darunter rund 50000 Berufs- und Zeitsoldaten (mit zunächst ruhendem Dienstverhältnis) sowie 48000 Zivilbeschäftigte, die am 3. Oktober 1990 in die Bundeswehr eingegliedert werden. Sie sind einem neu geschaffenen Bundeswehrkommando Ost mit Sitz in Strausberg unterstellt.

Von vielen West-Kameraden werden sie nicht unbedingt vorurteilsfrei aufgenommen. „Manch einer schien aus Verbundenheit zur Nato seine Allianztreue dadurch unter Beweis stellen zu wollen, dass er den künftigen Landsleuten eines neuen Deutschlands die in jeder Hinsicht ,kalte Schulter‘ zeigt“, schreibt Ex-Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer in seinem Buch „Lass uns dir zum Guten dienen“. Ein Stachel im Fleisch der Ostdeutschen waren – und sind bis heute – die Besoldungsunterschiede.

Nach 15 Jahren Einheitsarmee haben sich die meisten gegenseitigen Vorurteile abgeschliffen, stellt Nina Leonhard vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in Strausberg fest. Einige aber halten sich hartnäckig. „Manche Westdeutsche haben nach wie vor kein besonders gutes Bild von den Bundeswehrstandorten im Osten wie auch von der Herkunft der Ostdeutschen“, sagt sie. Ein zweites Vorurteil ergibt sich aus den überdurchschnittlich hohen Bewerberzahlen aus den neuen Bundesländern. Während die Westdeutschen überwiegend hehre Motive für eine Laufbahn als Berufssoldat ins Feld führen, verübeln sie den Ostdeutschen, dass viele mit dem Dienst bei der Bundeswehr nur der Arbeitslosigkeit entfliehen wollen.

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