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Politik: „Frieden ist wie Tango-Tanzen“

Israels Ex-Premier Ehud Barak über Jassir Arafat, Demokratie in Nahost und die Wurzeln des Terrors

Sie sind berühmt für Ihre Uhrensammlung. Was zeigt die NahostUhr an?

Ich schätze eine Minute vor zwölf. Vielleicht geht die Uhr sogar vor, dann ist es bereits nach zwölf – nur haben wir es noch nicht bemerkt.

Warum?

Wir leben jetzt 56 Jahre lang im Konflikt mit den Palästinensern. Seit zehn Jahren gibt es einen Friedensprozess. Vor vier Jahren in Camp David waren wir nahe daran, Frieden zu schließen. Aber wir haben es nicht geschafft, weil Arafat unseren Vorschlag torpediert hat und stattdessen Zuflucht gesucht hat im Terror. Frieden schließen ist wie Tango-Tanzen: Für den Tango braucht man zwei Leute, für den Frieden auch.

US-Präsident Bush hat erklärt, nach dem Sturz Saddam Husseins werde die Welt sicherer sein. Lag er richtig?

Es kann sein, dass Bush die Präsidentschaftswahlen im November verliert. Auch Tony Blair könnte seine Macht verlieren. Aznar in Spanien hat sie bereits verloren. Trotzdem: Die Welt ist heute sicherer geworden. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand werden wir diese drei Männer als mutige politische Führungspersönlichkeiten sehen, die die richtigen Fragen angepackt haben.

Im Irak jedenfalls herrscht heute keine Sicherheit.

Nach ihrem brillanten militärischen Sieg haben die Alliierten jeden nur denkbaren Fehler gemacht, so dass wir heute in einer sehr schwierigen Situation sind. Die Amerikaner hätten drei Wochen nach der Gefangennahme Saddams ihre Truppen aus dem Land abziehen sollen. Es müsste von ihrer Seite eine größere Bereitschaft geben, die Araber zu respektieren und sie in ihren eigenen Anstrengungen für Demokratie zu ermutigen.

Mehr Demokratie im Mittleren Osten? Wollen Sie in Ägypten oder Jordanien die proamerikanische, autoritäre Führung durch eine zwar demokratische, aber islamistische, antiamerikanische und antiisraelische ersetzen?

Man muss Risiken eingehen. Wir erwarten von den arabischen Nationen, dass sie Oppositionsparteien zulassen, den Frauen mehr Rechte geben, dass sie ihre Gesellschaften öffnen und demokratische Wahlen einführen. Dann aber können wir uns nicht beklagen, wenn uns ihre gewählten Vertreter nicht passen.

Wie kann dieser Prozess gefördert werden?

Die arabische Welt braucht einen islamischen Martin Luther, der heute seine Thesen an eine Moscheetür nagelt – wie damals in Wittenberg. Das könnte Anstoß geben für Reformen. Die meisten arabischen Herrscher wissen, dass Reformen unausweichlich geworden sind. Aber sie wollen dabei nicht vom Westen, von Israel oder dem Rest der Welt bevormundet werden. Demokratisierung sollte für die Araber nicht eine Erfahrung der Demütigung sein, sondern ihr absolut eigenes Projekt. Wenn wir uns zu sehr einmischen, machen wir alles kaputt.

Wird die internationale Roadmap Frieden bringen im Nahen Osten?

Die Roadmap ist praktisch tot. Sie liegt auf der Intensivstation des diplomatischen Weltkrankenhauses und hat nur noch geringe Überlebenschancen.

Betrachtet die israelische Linke Arafat als demokratisch legitimen Führer der Palästinenser – oder als Terroristen?

Die meisten Linken in Israel haben heute die schlechte Nachricht verdaut, die ich im Jahr 2000 aus Camp David mitgebracht habe: Arafat ist ein Terrorist. Er sieht aus wie ein Terrorist, er geht wie ein Terrorist und er quakt wie ein Terrorist. Sie kennen doch das englische Sprichwort über das, was wohl eine Ente sein muss, wenn es aussieht, watschelt und quakt wie eine Ente?

Was für Gefühle hatten Sie, als Sie die Bilder aus Gaza sahen von den alten Frauen, die in den Trümmern ihrer Häuser nach ihren Medikamenten wühlen.

Ich empfand das als ein schmerzliches und verheerendes Ergebnis – aber einer gerechten Sache. Ich bin ein passionierter politischer Gegner von Premierminister Scharon. Aber das macht mich nicht blind für die Tatsache, dass Scharon nicht für den Terror verantwortlich ist. Das ist die bewusste Entscheidung von Jassir Arafat sowie Leuten wie Scheich Jassin und Abdel Aziz Rantisi. Wir haben auch Fehler gemacht. Aber die eigentliche Tragödie für das palästinensische Volk ist die palästinensische Führung.

Und bis es eine neue gibt, warten Sie einfach passiv ab?

Wir können doch nichts machen, selbst wenn der Allmächtige in den nächsten Tagen Arafat zu sich in den Himmel holen sollte! Wenn ich öffentlich die Namen von Leuten nennen würde, die ich für couragierte und ehrliche Repräsentanten der Palästinenser halte, wären die doch mit einem Kainsmal gezeichnet!

Am Ende wird es zwei Staaten geben – Israel und Palästina. Wie viel Prozent von Westbank und Gaza werden die Palästinenser dann besitzen?

Die Palästinenser werden hundert Prozent des Gazastreifens bekommen und 95 plus x Prozent von der Westbank. Wenn es ein Friedensabkommen gibt, egal ob in fünf, zehn oder zwanzig Jahren, werden Sie eine Lupe brauchen, um die Unterschiede zu meinen Vorschlägen in Camp David zu finden.

Sie haben einmal gesagt, wenn Sie heute ein junger Palästinenser wären, würden Sie auch bei einer Terrorgruppe mitmachen. Haben Sie Verständnis dafür, wenn junge, intelligente Palästinenser sich Radikalen anschließen?

Ich bin gegen jede Form von Terror. Terror ist durch nichts zu rechtfertigen. Mir ging es darum, quasi philosophisch etwas über die Umstände zu sagen, in die Menschen hineingeboren werden. Wir müssten ja blind sein, wenn wir nicht sehen würden, dass es eine Verbindung gibt zwischen der Frustration dieser jungen Leute und ihren Terrortaten.

Was schließen Sie daraus?

Als verantwortliche Politiker müssen wir erkennen, dass es nicht ausreicht, die Terroristen zu verfolgen und auszuschalten. Wir müssen uns mit den Ursachen des Terrors befassen. Solange wir das nicht richtig und umfassend tun, wird der Terror nicht aufhören. Die Gewalttaten der Terroristen sind total unakzeptabel, aber sie sind eine Auswirkung ihrer Lebensumstände. Das ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Davon hängt unser Überleben als freie Zivilisation ab.

Das Gespräch führten Martin Gehlen und Robert von Rimscha.

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