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Friedensgespräche mit den Taliban: Umarmungs-Offensive in Afghanistan

Die Regierung in Kabul will Talibanführer von UN-Terrorliste streichen lassen, um Friedensgespräche führen zu können.

Von Michael Schmidt

Berlin - Es steht nicht gut um Afghanistan. Die Truppen der internationalen Staatengemeinschaft am Hindukusch haben ihren verlustreichsten Monat seit dem Sturz der Taliban im Jahre 2002 hinter sich, ihre Offensiven verfangen nicht, mehr als 1000 Zivilisten sind seit Januar ums Leben gekommen, der Wiederaufbau stockt: Der Westen findet einfach kein Mittel zur Befriedung des zentralasiatischen Armenhauses. Deshalb gewinnt die Idee, mit den Aufständischen zu sprechen, mehr und mehr Anhänger. Frei nach dem Motto: Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, dann umarme ihn. Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, was die „Washington Post“ am Wochenende berichtete: dass die afghanische und die US-Regierung darauf hinarbeiten, rund 50 hochrangige Talibanführer von der Terrorliste der UN streichen zu lassen.

Das ist zum einen der Versuch des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, sich neu zu positionieren, wie Afghanistanexperte Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung sagt: als Zünglein an der Waage, als Stimme, die sowohl in den Nato-Staaten als auch bei den Taliban Gehör findet. Das ist zum anderen aber auch „eine Geste von starker Symbolik“: Ohne reale Zugeständnisse zwar, ohne Macht mit ihnen zu teilen oder ihnen Zugang zu Ressourcen zu gewähren; aber doch ein Schritt, „der die Taliban enorm aufwertet, ohne dass sie etwas dafür tun müssten“. Bisher galt offiziell als Vorbedingung, dass die Aufständischen der Gewalt abschwören, die afghanische Verfassung anerkennen und ihre Kontakte zu internationalen Terrororganisationen wie Al Qaida abbrechen. Nun aber dringt die Regierung in Kabul verstärkt auf die Streichung von Talibanführern von der UN-Liste, um den seit fast neun Jahren andauernden Konflikt zwischen der Regierung und den Islamisten beizulegen.

Und die USA unterstützen Karsai bei diesen Bemühungen. Der US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke, war am Dienstag vergangener Woche in New York, um UN-Vertreter für diese Idee zu gewinnen. „Dieses sehr weite Entgegenkommen gegegenüber den Taliban zeigt die ganze Verzweiflung der Regierungen in Kabul und Washington“, sagt Schetter, „man greift inzwischen nach jedem Strohhalm, der in dieser Situation zum Frieden führen könnte oder doch wenigstens konfliktmindernd wirkt.“

Eine falsche Hoffnung? Für Schetter eher ein „Schritt in Richtung Realpolitik“. Ein „moralisch problematischer“, wohlgemerkt. Menschenrechtler werden die Hände überm Kopf zusammenschlagen, vermutet der Bonner Experte. „Und wie die Truppe verkraftet, dass man heute mit dem Feind verhandeln soll, den man gestern noch beschossen hat, ist auch fraglich.“ Tatsächlich aber seien die Taliban eine ausgesprochen heterogene Gruppe, und aus Sicht der Politik lohne der Versuch, die Berufsradikalen von den politisch Interessierten und den wirtschaftlich Motivierten zu trennen. Wie hatte Außenminister Guido Westerwelle im Januar gesagt, als er im Vorfeld der Londoner Afghanistankonferenz sein Aussteigerprogramm für Talibankämpfer ankündigte? „Es gibt viele Mitläufer der Talibanterroristen, die nicht aus fanatischer Überzeugung, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen auf einen falschen Weg geraten sind.“ Diesen Menschen solle „eine wirtschaftliche und soziale Perspektive für sich und ihre Familien“ geboten werden, forderte der FDP-Politiker.

Die Vereinten Nationen zögern noch: Sie fordern zunächst einmal mehr Beweise, dass die Betroffenen der Gewalt tatsächlich abgeschworen haben. Die USA aber dringen auf eine Einigung noch vor der internationalen Afghanistankonferenz am 20. Juli in Kabul. Und auch Karsai hat es eilig: Er macht sich die Forderung nach Verhandlungen mit Aufständischen schon deshalb zu eigen, weil sie das Ergebnis der afghanischen Friedensdschirga ist, der dreitägigen Ratsversammlung, zu der Anfang Juni mehr als 1600 Delegierte zusammengekommen waren, um Wege und Möglichkeiten zu diskutieren, Frieden mit den Taliban zu schließen.

Die Aufständischen selbst allerdings fordern seit jeher und nach wie vor den Abzug der ausländischen Truppen als Voraussetzung für jedwede Friedensverhandlungen. Wie es aussieht, haben sie wenig Grund, ihre Haltung zu ändern. In den Truppenstellerstaaten der internationalen Gemeinschaft ist der Afghanistaneinsatz wenig populär, der innenpolitische Druck, die eigenen Soldaten nach Hause zu holen, wächst, US-Präsident Barack Obama hat bereits das Jahr 2011 ausgerufen als dasjenige, in dem der Abzug beginnt. Die Aufständischen können mithin in aller Ruhe abwarten: „Ihr habt Uhren“, sagen sie, „wir haben Zeit.“

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