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Politik: Frische Luft

Von Robert Birnbaum

Das längste Konklave der Kirchengeschichte dauerte von Dezember 1268 bis September 1271, und selbst dann wurde Papst Gregor X. erst gewählt, als die genervten Zuschauer das Dach des Tagungsbaus abdeckten und die Kardinäle auf Wasser und Brot setzten. Bei Otto Schily und seinen Streitpartnern hat es dieser Art Nachhilfe nicht bedurft; wir haben also seit dem Mittelalter Fortschritte gemacht. Aber ziemlich genau drei Jahre hat auch das Kollegium der Parteien darauf verwendet, ein Zuwanderungsgesetz auszuhandeln. Ja, Herr Kardinal Beckstein, schon gut – also ein „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“. In diesem Mammutstreit zählte jedes Wort.

Und, hat die Mühe gelohnt? Das hat sie. Wir, das alternde Industrieland Deutschland, öffnen uns der Realität einer Welt, in der Geist, Geld und Arbeitskraft keine Grenzen kennen. Wir tun das spät und ängstlich. Wir lügen uns weiter populistisch in die Tasche, dass wir um unserer Arbeitslosen willen die Tür nur einen Spalt weit aufmachen dürften, und ignorieren, dass dann eben die Arbeitsplätze abwandern. Aber es ist ein Spalt. Von draußen kann ein bisschen frische Luft herein.

Gelohnt hat auch der lange Zank um Sicherheit. Was da vereinbart ist, verteidigt den Rechtsstaat gegen seine Feinde nicht auf die Brutalo-Art, die nichts mehr zu verteidigen übrig lässt. Ob es zur Abwehr von Terror hilft? Terroristen lassen sich nicht durch Paragrafen stoppen, sondern nur, wenn man ihnen rechtzeitig auf die Schliche kommt. Immerhin könnten die neuen Möglichkeiten zur Überprüfung und Ausweisung das Geschäft der Reisenden in Fanatismus stören. Das soll man nicht so gering schätzen.

Bleibt das dritte große Element, unser Verhältnis zu unseren Ausländern. Auch da tut sich etwas. Wir öffnen uns ein wenig als Zufluchtsland für Frauen, die daheim von Mächtigen verfolgt werden, weil sie Frauen sind. Wir schaffen endlich Härtefallkommissionen – und schränken sie hoffentlich nicht sofort wieder deutsch-bürokratisch ein –, die Menschlichkeit überall dort bewahren helfen können, wo Abschiebeparagrafen bisher nur seelenlose Mechanismen in Gang setzen. Und wir reden nicht mehr nur über Integration, wir rücken endlich auch Geld dafür heraus. Ob das reicht, ob das Sanktionssystem funktioniert, wird sich zeigen. Aber der Anfang ist gemacht.

Das ist ja überhaupt das große, das Hauptverdienst dieser Einigung, weshalb Otto Schily schon Recht hat, wenn er von einer „historischen Wende“ spricht. Sie wird sich so richtig erst in ein paar Jahren zeigen. Wenn dann eine Regierung, welcher Partei auch immer, zum Beispiel die Tür zum deutschen Arbeitsmarkt noch ein wenig weiter öffnen will. Dann fügt sie einen Paragrafen ein oder in einen Paragrafen ein paar Wörter. Das ist dann keine Glaubensfrage mehr. Dass einer wie der CSU-Vize Horst Seehofer gegen das Gesetz polemisiert mit der Begründung, da gehe ein Wahlkampfthema dahin, zeigt die Befriedungswirkung. Daran gemessen ist die Frage völlig unbedeutend, welche Partei ein wenig mehr gesiegt hat und welche weniger.

Was übrigens jenen Gregor X. angeht, hat der seinerzeit die Aussöhnung zwischen West- und Ostkirche versucht, mit wenn auch begrenztem Erfolg. Und er hat den achten Kreuzzug gepredigt. Vergebens. Nie wieder ist ein Ritterheer ausgezogen, die Heiden mit dem Schwerte zu bekehren. Dieses Zeitalter der Glaubenskriege war vorbei.

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