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Politik: Frist oder stirb?

DIE EU, DIE USA UND IRAK

Von Bernd Ulrich

Die Geschichte hat zum Sprint angesetzt. Letzten Sonntag noch war der Kanzler außenpolitisch am Boden, er hatte sich mit seinem allerstriktesten Nein isoliert, beim Rotwein einen Blauhelmplan ausgeplaudert und sich mit seinem außenpolitisch etwas versierteren Außenminister fast überworfen. Diesen Sonntag hingegen wirkte es fast so, als hätten Millionen Menschen nur für ihn demonstriert. Was ist geschehen?

Es fing damit an, dass Gerhard Schröder zum Teilnehmer in einem Viererbund von Kriegsgegnern wurde, zusammen mit Frankreich, Russland und China, drei Vetomächten. Windig zwar, aber nicht nichts. Sodann, am Donnerstag, musste er sich im Bundestag der Opposition stellen. Und wie durch ein Wunder versagte seine christdemokratische Kontrahentin Merkel. Nebenbei versöhnte sich der Kanzler sichtbar mit seinem Vize. Tags drauf, und jetzt wird es wirklich wichtig, obsiegten die Kriegsgegner im Sicherheitsrat. Der französische und der deutsche Außenminister erhielten ganz außerprotokollarischen Beifall, Amerika war geschwächt. Und am Samstag ging dann in Berlin eine halbe Million Menschen auf die Straße, nicht geradewegs für den Kanzler, aber doch zu seinem außenpolitischen Nutzen.

Zufälle spielen bei diesem Stimmungsumschwung eine Rolle, etwa Merkels Versagen. Aber am meisten haben die Amerikaner zur vorläufigen Rettung des Kanzlers und zum Umschwung im Sicherheitsrat beigetragen. Sie verhielten sich so, dass der Irak gar nicht mehr das zentrale Thema war, sondern die Rolle der USA selbst. Und Rumsfeld hatte mit seiner Bemerkung zum alten und neuen Europa nicht nur die europäische Friedensbewegung mobilisiert, sondern auch noch die Chinesen im Sicherheitsrat zu der für ihre Verhältnisse rabiaten Bemerkung provoziert, sie seien auch eine alte Kultur.

Dass all dies für den Moment dem Kanzler nützt, wird ihn erfreuen. Für den weiteren Verlauf ist anderes erheblich. Denn die Situation im Sicherheitsrat läuft auf den Supergau zu: Die Deutschen wollen die Waffeninspekteure unbefristet weiter arbeiten lassen. Was aber nur Sinn hätte, wenn die Amerikaner zugleich die militärische Drohung unbefristet aufrecht erhalten. Denn sonst macht Saddam mit den Inspekteuren, was er schon immer gemacht hat, wenn er sich unbedroht fühlte: Jojo spielen. Fischer und Schröder hantieren also mit einer Idee gegen die Amerikaner, die nur mit ihnen funktionieren kann. In Washington wiederum gibt man den Inspekteuren nur noch zwei Wochen. Wenn die Positionen so bleiben, wird es in zwei Wochen eine tiefe Spaltung des Sicherheitsrats, der EU und der Nato geben. Das aber wäre nur für einen gut: Saddam.

Aber auch wenn die Kriegsgegner sich durchsetzen und die Amerikaner abziehen, wäre das Signal verheerend. Der Irak käme ungeschoren davon, ohne dass Saddam, wie Blix konstatiert, ausreichend kooperiert hätte. Die arabischen Diktatoren wüssten nun, dass ihnen vom gespaltenen Westen nichts droht. Und dass sie UnoResolutionen nicht gar so ernst nehmen müssen.

Die Spaltung und Schwächung des demokratischen Teils dieser Erde wäre jetzt, da sich eine neue Weltordnung herausbildet, fatal. Also muss in den kommenden zwei Wochen ein Kompromiss gefunden werden, der wohl in einer langen Frist liegen dürfte: Viele Tage Zeit, damit Saddam zur vollen Kooperation gebracht werden kann, aber weiterhin eine Kriegsdrohung, um ihn notfalls zur Räson zu bringen.

Die Amerikaner wären nun gut beraten, wenn sie nicht nach dem Motto handelten: Frist oder stirb. Und morgen tagt die EU. Selten war ein Gipfel so wichtig für die Einheit Europas. Und der Welt.

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