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Politik: Fritz Kuhn über seine Kandidatur als Parteisprecher, heimliche Vorsitzende und neue Strukturen

Fritz Kuhn (44) will auf dem Grünen-Parteitag im Mai, nach der Strukturreform, für einen der beiden Vorstandssprecher-Posten der Partei kandidieren. Der führende Vertreter des Realo-Flügels ist seit 1992 Chef der Grünen-Landtagsfraktion in Stuttgart.

Fritz Kuhn (44) will auf dem Grünen-Parteitag im Mai, nach der Strukturreform, für einen der beiden Vorstandssprecher-Posten der Partei kandidieren. Der führende Vertreter des Realo-Flügels ist seit 1992 Chef der Grünen-Landtagsfraktion in Stuttgart. Sein Beruf: Akademie-Professor für sprachliche Kommunikation.

Herr Kuhn, die Grünen machen es Ihnen nicht leicht, Vorsitzender zu werden. Denken Sie ans Aufgeben?

Überhaupt nicht, im Gegenteil. Ich finde die Auseinandersetzung, die wir gerade um die Strukturreform führen, zentral für die Handlungsfähigkeit der Grünen und unsere Profilierung. Da geht es erst einmal nicht um Personen. Wir müssen professioneller werden und zugleich das notwendige Maß an Machtbegrenzung erhalten, das eine demokratische Partei braucht.

Aber die Strukturreform wird doch unmittelbar mit Personen verbunden?

Wenn manche Linke jetzt erklären, die vorhandenen Parteistrukturen sind heilig, und zugleich sagen, sie seien ein gutes Mittel, um Fritz Kuhn zu verhindern, dann erhöht das nicht deren Glaubwürdigkeit.

Warum ist es effektiver, wenn ein Politiker, der zugleich eine Landtagsfraktion führt, Teilzeit-Bundesvorsitzender wird? Die jetzigen Bundesvorstandssprecherinnen haben einen Vollzeitjob.

Es geht um die Handlungsfähigkeit und die Stärkung der Partei. Wir haben zu starke informelle Strukturen, zum Beispiel mit Joschka Fischer als dem virtuellen Parteichef. Es würde die Partei stärken, wenn es bei der Wahl der Vorsitzenden mehr Auswahl gäbe, und wenn Erfahrungen aus den Landesparlamenten eingebracht werden könnten. Nur eine gestärkte Partei kann die informellen Strukturen abbauen. Natürlich geht das nicht auf einen Schlag. Partei, Bundestagsfraktion und Regierungsmitglieder müssen das Geschäft gemeinsam machen, auf Augenhöhe. Die Partei muss dabei eine unabhängige Ideenwerkstatt sein.

Und wenn die Strukturreform scheitert?

Ich diskutiere jetzt über ihr Gelingen. Wenn eine Partei zehn Jahre lang ermüdende Diskussionen führt, muss am Ende ein Kompromiss stehen. Ein Scheitern wäre insgesamt für die Grünen schlecht. Wir müssen den Laden reformieren und dann endlich wieder zu Inhalten kommen. Die Mitglieder haben zu Recht eine große Sehnsucht nach inhaltlicher Profilierung. Sie leiden unter der jetzigen Situation. Auch die Wähler ertragen es nicht mehr, dass sich eine Partei so im eigenen Sumpf dreht und wendet wie wir.

Jürgen Trittin sagt, viel wichtiger als die Frage Amt und Mandat sei es, die Bundespartei besser auszustatten.

Trittin hat immer gewollt, dass die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben werden soll. Wenn er jetzt sagt, dass die Kampagnenfähigkeit der Bundespartei verbessert werden soll, hat er nur Recht. Es macht keinen Spaß, Ideen auszubrüten, aber keine Mittel für ihre Umsetzung zu haben.

Die Grünen wirken verzettelt.

Weil die Aufgabenteilung bei uns nicht klar ist. Vielleicht auch, weil im ersten Jahr der Regierungsbeteiligung im Bund so viel neu war. Entscheidend ist, ob wir die Strategiefähigkeit der Grünen stärken können. Wir müssen Schwerpunkte setzen die wir dann auch einhalten.

Muss Joschka Fischer stärker in die Parteiarbeit eingebunden werden?

Fischer muss in die demokratisch legitimierten Gremien eingebunden werden. Er muss zugleich abgeben von dem, was einen heimlichen Vorsitzenden ausmacht.

Ist er denn überhaupt teamfähig genug?

Wo er es nicht ist, wird er es lernen müssen.

Ist es nicht eine der Lebenslügen der Grünen, dass der heimliche Vorsitzende abgeschafft werden könnte? Fischer ist doch nicht nur eine Institution informeller Parteikreise, sondern auch in der Öffentlichkeit der mit Abstand beliebteste Mann der Partei.

Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man den heimlichen Vorsitzenden einfach abschaffen kann. Wir können saufroh sein, dass wir Joschka Fischer haben. Nur profitieren wir als Partei viel zu wenig von diesem populären Politiker. In der Öffentlichkeit gelten nicht die gewählten Bundesvorstandssprecher als Vorsitzende, sondern eben Fischer. Das abzubauen, wird Zeit brauchen. Und dann kommt es natürlich auch darauf an, wer im Mai an die Spitze der Grünen gewählt wird. Wenn wir alles lassen wie es ist, erhalten wir auch die informellen Strukturen.

Warum hat Fischer Sie so früh als Kandidat für das Amt des Bundessprechers benannt?

Dass Renate Künast und ich von Fischer ausgerufen wurden, hat uns in eine schwierige Situation gebracht. Fast sind wir jetzt in politischer Geiselhaft, das ist keine schöne Situation. Aber ich werde doch deshalb jetzt nicht auf allen Ebenen Streitereien mit Joschka Fischer anfangen.

Warum schadet es Ihnen eigentlich, als Wunschkandidat von Fischer zu gelten?

Natürlich belastet das die Debatte. Doch wer mich kennt weiß, dass ich ein Kandidat mit eigenem Kopf und eigenen Erfolgen bin.

Die Partei bleibt misstrauisch.

Ich glaube, dieses Misstrauen wird abgebaut.

Misstrauisch ist die Partei auch beim Atom-Ausstieg. Wird der Parteitag zur folgenlosen Veranstaltung?

Entscheidend wird sein, dass die Grünen über den Ausstieg aus der Atomenergie und den Einstieg in eine neue Energiestruktur einig sind. Wir wollen doch alle aus der Atomkraft aussteigen und suchen nur nach dem besten Weg, das effektiv zu schaffen. Streit bei den Grünen lässt die Atomwirtschaft jubeln und Streit zwischen SPD und Grünen natürlich auch. Wir brauchen ein Signal der Geschlossenheit.

Hat der Umweltminister die Erwartungen zu hoch gesteckt?

Das ist schwer zu beurteilen. Entscheidend ist jetzt, dass wir unsere eigene Schlagkraft nicht selber untergraben.

Die Grünen müssen Kröten schlucken?

Nein. Der Rahmen steht fest. Entweder schaffen wir den Ausstieg im Konsens mit einem flexibleren Konzept, oder es wird im Dissens auf der Basis von 30 Jahren Gesamtlaufzeit ein Ausstiegsgesetz beschlossen. Es wäre eine historische Leistung, das hinzubekommen. Für den Wähler ist entscheidend, ob wir von einer unsicheren zu sicheren Technologie kommen.

Mit Gunda Röstel verlieren die Grünen ihr letztes ostdeutsches Gesicht. Macht Ihnen das Sorge?

Die Grünen dürfen nicht zu einer Regionalpartei West werden. Wir haben es im Osten extrem schwer. Viele der Themen, die uns im Westen stark machen, beziehen sich auf eine Gesellschaft, der es ökonomisch gut geht. Wir müssen bei den sozialen Themen und auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zulegen, wenn Grün im Osten wieder wachsen soll.

Verlieren die Grünen an Bodenhaftung?

Wenn wir uns klar als die ökologische Partei der Bundesrepublik und auch als Partei der Zukunftssicherung sozialer Gerechtigkeit profilieren, dann habe ich diese Sorge nicht.

Sind die Grünen aus Freude, im Bund dazuzugehören, erlahmt?

Ich bin nicht der Chefdeuter aller grünen Probleme.

Würde es Ihnen gefallen, von den Mitgliedern per Urwahl bestimmt zu werden?

Diskutieren lässt sich über alles. Ich glaube aber, dass die Wahlen schon auf einen Parteitag gehören. Die Auseinandersetzung auf einem Parteitag, die Vorstellung und die Befragung von Kandidaten auf dem Parteitag sind ein wichtiges Element für Personalentscheidungen. Und denken Sie an die SPD: Die hat so gute Erfahrungen mit Urwahlen auch nicht gemacht.Das Gespräch führten Thomas Kröter und Matthias Meisner.

Herr Kuhn[die Grünen machen es Ihnen nicht l]

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