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Frühere Terroranschläge in Berlin: "Die Erinnerung wird immer zu mir gehören"

Die Friedenauer Diskothek "La Belle" wurde 1986 Schauplatz eines Terroranschlags. Für die Opfer gab es damals noch keine psychologische Hilfe. Das rächte sich später.

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An den schwerverletzten US-Soldaten, der am Morgen des 5. April 1986 mit ihr im selben Krankenwagen von der zerstörten Diskothek „La Belle“ ins Klinikum Steglitz gefahren wurde, erinnert sich Katja Bahadori genau und muss oft an ihn denken. Von der Bombenexplosion - vermutlich geplant durch das libysche "Volksbüro" in Ost-Berlin - noch immer unter Schock, dazu mit geplatztem Trommelfell wie hinter Glas, hatte sie ihn erst nicht bemerkt, bis er mit seiner verbrannten Hand nach der ihren tastete, sie zu trösten versuchte. Er hat die beim Anschlag erlittenen Verletzungen nicht überlebt. Erst habe man seine Beine, dann seine Arme amputieren müssen, dabei sei er gestorben, erinnert sie sich.

Für Menschen wie Katja Bahadori, damals 19 Jahre alt, heute am Grips-Theater zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, sind Nachrichten von einem Anschlag wie dem am Montagabend auf dem Breitscheidplatz besonders aufwühlend. Sie selbst hat ja einen überstanden, vor ziemlich genau 30 Jahren, dessen Wunden noch immer nicht ganz verheilt sind. „Der schwärzeste Tag in meinem Leben nach ,La Belle‘, das war der 11. September 2001“, sagt sie, und schon an der Art, wie die Erinnerungen aus ihr hervorbrechen, sachlich, reflektiert, das schon, aber kaum zu stoppen, spürt man die Tiefe des erlittenen, noch immer nachwirkenden Traumas.

Die erste Information über den Anschlag am Breitscheidplatz: eine SMS aus Nizza

Wie gehen Menschen, die solch ein Attentat überlebt haben, mit ihren Erinnerungen um, wie weit haben sie diese Erfahrung verarbeitet? Das sei völlig unterschiedlich und hänge auch vom Grad der Verletzung ab, sagt Stephan Maigné. Der Moabiter Anwalt war Vertreter der Nebenklage in vielen Strafprozessen und im „La Belle“-Verfahren Anwalt von Katja Bahadori und weiteren 26 Opfern. Er selbst hatte vom Anschlag am Breitscheidplatz zuerst über eine besorgte SMS seiner Mutter erfahren – aus Nizza.

Die Opfer von damals ständen heute nur noch lose in Verbindung, wie er sagt. Einige litten noch immer an psychischen Problemen, es habe eben damals noch keinerlei psychologische Betreuung gegeben. Mit Katja Bahadori habe er weiterhin regelmäßig Kontakt, gerade nach schweren Anschlägen wie denen in Paris rufe sie ihn an.

Dabei schien sie die Terrornacht im „La Belle“ anfangs zumindest psychisch recht gut verkraftet zu haben. Allerdings war sie schwer verletzt worden, ein Metallteil hatte ihr rechtes Knie zertrümmert. Drei Monate lang lag sie im Krankenhaus, wurde zweimal operiert. Heute gilt sie wegen des Knies als zu 50 Prozent schwerbeschädigt, es schmerze bei jedem Schritt. Ein auf Knieprobleme spezialisierter Arzt, der sie noch einmal gründlich untersuchte und nach den von ihr genommenen Schmerzmitteln fragte, war geradezu fassungslos, als sie ihm sagte, sie nehme keine. Wie sie das denn überhaupt aushalten könne ... Jetzt trainiert sie regelmäßig auf einem Fahrrad, zum Muskelaufbau.

Die psychischen Probleme kamen nach fünf Jahren

Aber noch schlimmer waren die psychischen Probleme, die etwa fünf Jahre nach dem Anschlag entstanden. Im Supermarkt an der Kasse zu stehen wurde zur Qual, vorm Fliegen hatte sie plötzlich Angst und auch vorm Autofahren. Selbst alltägliche Situationen versetzten sie in Schrecken, kaum wollte sie noch die Wohnung verlassen. Auch sie war im Krankenhaus nicht psychologisch betreut worden, nur einmal sei dessen Seelsorger gekommen, erzählt sie. Seelischen Zuspruch bekam sie nur vom Weißen Ring, dem auf die Unterstützung von Kriminalitätsopfern spezialisierten Verein.

Sie hat irgendwann selbst mit einer Therapie begonnen, die drei Jahre dauerte, ihr aber sehr half, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. So sehr, dass sie am Montagabend, als auch sie über den Safety-Check bei Facebook angefragt wurde, ob sie sich als „sicher“ markieren könne, dies erst für „ganz schön übertrieben“ hielt, aber hinterher empfand sie diese Aktion für sich doch „hilfreich“. Obwohl, am Morgen nach dem Anschlag zuckte sie doch erst zurück und überlegte, ob sie wirklich die U-Bahn nehmen sollte. In der hatte es schließlich auch schon, 2004 in Madrid, verheerende Anschläge gegeben. Sie hat sich aber überwunden, ist in die U-Bahn eingestiegen: „Die Erinnerung an die Nacht im ,La Belle‘ wird immer zu mir gehören, aber ich bin dankbar, dass ich es überlebt habe.“

Drei Tote und 230 Verletzte beim "La Belle"-Anschlag

Mit den anderen Opfern – außer den Toten, zwei US-Soldaten und einer Türkin, hatte der Anschlag 230 Verletzte gefordert – habe sie „keinen großen Kontakt“, sagt sie. Nur einmal im Jahr treffe man sich, immer am 5. April, dem Jahrestag, am Ort des Geschehens. Eine Diskothek gibt es dort nicht mehr, mit der Explosion war endgültig Schluss mit der dort Abend für Abend gefeierten Lebensfreude, dem „American Way of Life“, wovon sie noch immer schwärmt. Ganz anders sei es dort zugegangen als in deutschen Discos, in denen die Leute sich immer erst Mut antrinken müssten, bevor sie sich auf die Tanzfläche wagten.

Nur noch eine Gedenktafel erinnert in der Hauptstraße an die Bluttat. Die Überlebenden legen dort am Jahrestag des Anschlags Blumen nieder, auch Katja Bahadori bringt stets drei Rosen mit – eine für jeden Toten.

Bei dem Anschlag auf die Diskothek "La Belle" starben im April 1986 drei Menschen, zwei US-Soldaten und eine Türkin.
Bei dem Anschlag auf die Diskothek "La Belle" starben im April 1986 drei Menschen, zwei US-Soldaten und eine Türkin.

© picture-alliance / dpa

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