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Politik: Frust mit dem Apparat

In Brüssel wundert man sich über Verheugens Beamten-Schelte, doch Barroso verteidigt seinen Kommissar

Unverblümter ging es kaum: Vergangene Woche kritisierte Industriekommissar Günter Verheugen die Machtfülle hoher Beamter in der EU-Kommission. „Technisch, arrogant, von oben herab“ – so beschrieb er den Tonfall einiger Schreiben von Beamten an die Mitgliedstaaten. Am Mittwoch bekräftigte Verheugen seine Kritik, und angesichts dieser Deutlichkeit ist es kein Wunder, dass es brodelt in der Kommission. Der Präsident der europäischen Beamtengewerkschaft, Jean- Louis Blanc, forderte indirekt Verheugens Rücktritt: „Wenn ein Konzernchef wie der Chef von Coca-Cola seinen Mitarbeitern die Schuld für Absatzprobleme seines Produkts in die Schuhe schiebt, ist klar: Entweder er entschuldigt sich sofort bei ihnen oder er tritt zurück.“

Am Mittwoch nahm nun der oberste Chef der Brüsseler Kommission, der Portugiese José Manuel Barroso, an einer Kabinettssitzung in Berlin teil, und anschließend nahm er Verheugen ausdrücklich in Schutz. „Es ist unsere Pflicht, die bürokratischen Hürden für die Wirtschaft zu verringern“, sagte der Kommissionspräsident und verteidigte damit das Ziel seines Industriekommissars, die Bürokratie in der EU sichtbar abzubauen. Verheugen hatte in der vergangenen Woche seine interne Kritik an einigen Generaldirektionen in der EU-Kommission publik gemacht. Diese Generaldirektionen hätten offenbar den Willen der Kommissionsspitze zum Bürokratieabbau nicht ernst genommen, beklagte Verheugen. In Berlin legte Barroso nun nach: Die Regel, dass in Europa möglichst viele Vorschriften produziert werden müssten, gelte nicht mehr, erklärte der Portugiese.

Dabei teilen längst nicht alle in Brüssel Verheugens Kritik an den hohen Beamten in der Kommission. Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Dagmar Roth- Behrendt (SPD), sagte dem Tagesspiegel, die EU-Kommission sei im internationalen Vergleich „eine der besten Verwaltungen“. „Auch wenn ich inhaltlich nicht immer mit den Generaldirektionen übereinstimme, habe ich stets eine vertrauensvolle Zusammenarbeit erlebt“, sagte Roth-Behrendt weiter.

Verheugen indes hält seine spektakuläre Kritik für berechtigt und die öffentliche Aufmerksamkeit für notwendig, um in Brüssel die Macht der „Eurokratie“ zu brechen. Tatsächlich dürfte Verheugen nicht der einzige Politiker sein, der sich am großen Selbst- und Machtbewusstsein der Brüsseler Elitebeamten stößt. Hinter vorgehaltener Hand wird eingeräumt, dass man in den höheren Etagen des Brüsseler Beamtenapparats schon bisweilen frustrierende Erfahrungen mit selbstherrlich auftretenden Spitzenbeamten machen könne.

Allerdings rätseln inzwischen selbst Beobachter, die dem deutschen SPD-Politiker Verheugen wohl wollen, was den ehemaligen EU-Erweiterungskommissar wohl geritten hat, seine Beamten mit dieser Vehemenz zu kritisieren. Für viele in Brüssel drängt sich der Verdacht auf, dass der dünnhäutige Verheugen nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ vorgeht. Der 62-jährige Verheugen habe im April, so berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ Ende September, seine „engste Vertraute“ Petra Erler zur Chefin seines unmittelbaren Mitarbeiterstabs – in Brüssel „Kabinett“ genannt – befördert. In einem Leserbrief an die FAZ wies Verheugen den Verdacht der Günstlingswirtschaft als „vollkommen abwegig“ zurück. Seine Bilanz bei der Entbürokratisierung ist indes bis jetzt mager geblieben: Ursprünglich hatte er in diesem Jahr 54 EU-Gesetze vereinfachen wollen. Bis zur Sommerpause gelang das nur in vier Fällen.

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