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Noch ist es ruhig auf Kairos Straßen. Doch die Sicherheitskräfte stehen schon bereit.

© KHALED ELFIQI/dpa

Fünf Jahre Volksaufstand in Ägypten: "Heute ist es schlimmer als zu Mubaraks Zeiten"

Ägyptens Staatschef al Sisi fürchtet am fünften Jahrestag des Volksaufstands neue Proteste. Die Aktivisten der ersten Stunde werden von den Sicherheitskräften besonders bedrängt.

Für Abdelfattah al Sisi ist der 25. Januar 2016 kein Grund zu feiern: Die Muslimbruderschaft hat für den heutigen fünften Jahrestag des ägyptischen Volksaufstands zu landesweiten Protesten gegen den amtierenden Staatschef aufgerufen. Seit Wochen verbreiten deshalb Regierungsvertreter und Medien, Demonstrationen seien destruktiv. Alle, die protestieren wollen, werden in die gleiche Ecke gedrängt wie die verbotenen Muslimbrüder. In den Moscheen wurde gar verkündet, Demonstrationen seien gegen islamisches Recht.

Al Sisi versuchte aber auch die Aufgebrachten zu beruhigen: Er verlangte mehr Weitsicht bei der Entwicklung einer Demokratie. Eine solche reife nicht über Nacht. „Es ist vielmehr ein sich steigernder und fortlaufender Prozess“, sagte Al Sisi in einer Fernsehansprache am Sonntag. Seine Regierung arbeite daran, die „ideale Balance zwischen Rechten und Freiheiten“ herzustellen.

Ob dieser Aufruf zur Geduld bei Muslimbrüdern und anderen Oppositionskräften fruchtet, ist allerdings fraglich. Zumal kein Tag vergeht, an dem in Ägypten nicht junge Aktivisten festgenommen werden. Alle Ikonen des 25. Januar seien das Ziel der Sicherheitskräfte, behauptet ein Vertreter von Kifaya, einer jener sozialen Bewegungen, die maßgeblich zum Ausbruch der Revolution von 2011 beigetragen hatten. Damals hatten die Empörten mit dem Sturz Hosni Mubaraks einen politischen Umbruch erzwungen, der Ende 2011 in Parlamentswahlen mündete. Zum Präsidenten wurde 2012 der Muslimbruder Mohammed Mursi gewählt, den aber das Militär im Juli 2013 stürzte.

Kampagne der Einschüchterung

Mit einem rigorosen Gesetz, das einem Demonstrationsverbot gleichkommt, hatte die neue Führung unter al Sisi nach dem Sturz der Muslimbrüder Ende 2013 dafür gesorgt, dass politischer Aktivismus ein gefährliches Unterfangen wurde. Hunderte junge Männer und Frauen wurden verhaftet, weil sie sich für Menschenreche und Grundfreiheiten stark gemacht haben. Viele wurden von den Medien als Verräter und ausländische Handlanger verteufelt. Das als Dekret erlassene kontroverse Gesetz kann auch vom neuen Parlament nicht revidiert werden.

Die Repression bekamen Mitglieder von sozialen Gruppen genauso zu spüren wie ganz gewöhnliche, engagierte Bürger. Als solchen bezeichnet sich Omar Hazek. Gegen die Bezeichnung politischer Aktivist verwehrt er sich, denn er gehört keiner Gruppierung an. Der 37-jährige Schriftsteller aus Alexandria geht seit 2010 auf die Straße. Damals wurde in seiner Heimatstadt der Blogger Khaled Said von Polizisten zu Tode geprügelt.

Der Unmut über diese Polizeiwillkür war ein wichtiger Auslöser für den Ausbruch der Revolte von 2011 am nationalen Tag der Polizei. Hazek kämpfte auch nach dem Sturz Mubaraks für die Verurteilung der beteiligten Polizisten. Ein solcher Protest brachte ihm im Dezember 2013 zwei Jahre Gefängnis und eine hohe Geldstrafe ein. Dank einer Amnestie des Präsidenten anlässlich eines islamischen Feiertags wurden ihm zwei Monate erlassen. 

Menschenverachtende Zustände im Gefängnis

In der berüchtigten Haftanstalt von Borg al Arab, wo die politischen Gefangenen in eigenen Trakten unter sich sind, waren zeitweise in einer Zelle von 5,5 auf 3 Meter bis zu 28 Insassen zusammengepfercht. "Die Wärter zeigten keine Regung von Menschlichkeit oder Mitgefühl. Während der Sommerhitze haben sie uns sogar die selbst gekauften Ventilatoren weggenommen", schildert Hazek die menschenunwürdigen Zustände. Die Zeit hinter Gittern habe sein Leben und ihn als Person tiefgreifend verändert, er sei demütig geworden. Auf dem engen Raum habe er über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg viel Solidarität und Mitmenschlichkeit erfahren. Nur wenn man sich helfe, zum Beispiel Essen und Medizin teile, könne man im Gefängnis überleben.

Mit der Freilassung im September war Hazeks Leidensweg aber nicht zu Ende. Jobverlust, Visa-Verweigerung und Reiseverbot prägten die vergangenen Monate. In der Zelle hatte der 37-jährige regelmäßig Briefe über sein persönliches Befinden geschrieben und veröffentlicht. Eine Sammlung dieser Texte wurde in der edition pen im Löcker Verlag in Wien als Buch veröffentlicht. Das hätte er eigentlich bei einer Lesereise durch Österreich persönlich präsentieren sollen. Aber diesmal wurde ihm das Schengen-Visum verweigert, das er 2009 für eine Preisverleihung für einen Gedichtband in Italien noch erhalten hatte.

"Ich habe das Gefühl, dass ich mindestens zwei Mal bestraft wurde. Die Tatsache, dass ich keinen gut bezahlten Job mehr habe, hat sicher wesentlich zur Ablehnung des Visums beigetragen. Man hat mir nicht geglaubt, dass ich wieder nach Ägypten zurückkehren werde", mutmaßt Hazek. Wegen seiner Haftstrafe hatte ihm die Bibliothek von Alexandria seine Stelle als Lektor und Verantwortlicher für die arabische Webseite gekündigt.

Mitte Januar hätte er dann in den Niederlanden mit einem Internationalen PEN Preis für Meinungsfreiheit geehrt werden sollen. Das Schengen-Visum war im Pass, aber diesmal hielt ihn die Staatssicherheit am Flughafen in Kairo zurück. Erklärte ihm, es bestehe wegen Sicherheitsbedenken ein Reisevorbot gegen ihn. In seiner Dankesrede in Den Haag hätte er mit einer langen Liste von Namen der "unterdrückten Stimmen hinter ägyptischen Gittern" gedacht.

 Leiden wird Menschen verändern

In Ägypten machen die Aktivisten jetzt vor allem auf die menschenverachtenden Zustände in den Gefängnissen aufmerksam. Denn heute sei die Situation schlimmer als unter Mubaraks, als es nur einige Hundert politische Gefangene gegeben habe, sagt Hazek - im Vergleich zu 40.000 heute.

Die unabhängige Tageszeitung "Masry al-Youm" hat bereits mehrere seiner Berichte abgedruckt. Hazek bleibt unter Beobachtung des Innenministeriums, das auf einen Text geantwortet und alle Vorwürfe zurückgewiesen hat. Diese journalistische Arbeit soll nun ein neues Standbein werden. Mit der Revolution habe sich nichts geändert, sagt er heute. Die Menschen würden leiden, vor allem unter den Preissteigerungen und den öffentlichen Dienstleistungen, die mit jedem Tag schlechter würden. Die Unzufriedenheit sei groß und irgendwann würden die Menschen reagieren und ihr Schweigen brechen. Denn das Leiden werde sie verändern. Davon ist der junge Schriftsteller überzeugt.

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