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Politik: Fünf Prozent für wen?

Von Moritz Döbler

Es klingt vertraut. Jede Tarifrunde fängt so an. Gewerkschafter stellen eine Forderung auf, und die Arbeitgeber finden sie viel zu hoch. Die Reallöhne dürfen nicht sinken, sonst gibt es Streik, sagen die einen. Die Arbeitskosten dürfen nicht steigen, sonst gibt es mehr Arbeitslose, sagen die anderen. So geht das hin und her, dann folgen nächtliche Marathonsitzungen, endlich einigt man sich bei der Pinkelpause. Die Fotos am Morgen danach zeigen müde und zufriedene Gesichter, die Schlagzeilen künden von Einigkeit am Standort. Das ist das Modell Deutschland, das sind die Rituale unserer Tarifautonomie.

Diesmal wird es ein bisschen anders werden. Denn viele der 3,5 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, der Schlüsselbranche, die Deutschland an die Weltspitze geführt hat, quälen andere Sorgen als die Frage, ob sie am Ende zwei oder drei Prozent mehr verdienen – selbst dann, wenn sie an ihre höheren Heizungskosten oder die bald steigende Mehrwertsteuer denken. Denn für viele geht es um die Existenz.

Zum Beispiel für jene 1750 AEG-Beschäftigten in Nürnberg, die gestern erfahren haben, dass ihr Werk Ende 2007 geschlossen werden soll. „Verprügeln“ will die IG Metall den schwedischen Mutterkonzern Electrolux. Ob der das merkt? Und ob, um eine andere Branche zu nennen, sich der Telekom-Vorstand zu Verhandlungen zwingen lässt, wie es Verdi gestern versprach? 32 000 Beschäftigte will der einstige Staatsmonopolist bis Ende 2008 loswerden – aber ist das nicht auch die Folge des Wettbewerbs, der niedrigen Telefontarife, die wir wollten?

Und so stößt die gewachsene Tarifpartnerschaft Deutschlands nicht nur bei AEG und der Telekom an ihre Grenzen. Auch den Stellenabbau bei Siemens, Daimler-Chrysler, Volkswagen und Ford – um nur einige der Großen der Metall- und Elektrobranche zu nennen – wird sie nicht aufhalten. Der Umbau der deutschen Wirtschaft ist in vollem Gange.

Ja, mancher mag das Wort von der Globalisierung nicht mehr hören, trotzdem hier drei Punkte. Erstens rechnet sich die Serienproduktion der meisten Massenprodukte, ob Hausgeräte, Handys oder Kleinwagen, hier zu Lande kaum noch. Und, der AEG-Nachricht zum Trotz, übermorgen auch in Italien und Polen nicht mehr, sondern nur an noch billigeren Standorten. Zweitens zählt Strukturpolitik bei international ausgerichteten Unternehmen nichts, sondern nur das Geschäft; Electrolux hat kein Herz für Franken. Drittens verstärken grenzüberschreitende Fusionen und der Einstieg internationaler Investoren in deutsche Firmen den Trend.

Natürlich kann man dagegen protestieren. Aber kann man so etwas bewegen? Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren zunehmend auf betriebliche Bündnisse gesetzt – und beachtliche Erfolge erzielt. So sind etwa die Arbeitsplätze bei Opel in Rüsselsheim, Bochum und Kaiserslautern sicher, jedenfalls bis 2010. Ob daraus eine sichere Zukunft werden kann, wird sich zeigen, aber fünf Jahre sind ja auch schon etwas.

So zeigt sich, dass es ein Fehler der Politik war, die Ausweitung betrieblicher Bündnisse auch auf Tariffragen ganz von der Agenda zu nehmen. Was die Union hier wollte, war mit der SPD (noch) nicht zu machen. Eine gemeinsame Antwort der Koalition auf die Globalisierung steht noch aus. Was folgt auf all die Kommissionen und runden Tische der Ära Schröder, der mal den Genossen der Bosse und mal den Heuschrecken-Kammerjäger gab?

Vorerst beherrschen die bekannten Rituale die Tagesordnung, das zeigt auch die vergleichsweise hohe Forderung der IG Metall von bis zu fünf Prozent mehr Lohn und Gehalt. Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches ist man mit der Antwort auf die Globalisierung schon etwas weiter. Bis in den Mittelstand hinein setzen Deutschlands Unternehmer konsequent auf Export und erhalten so die Wirtschaftskraft des Standorts Deutschland, leider aber nicht alle Arbeitsplätze.

Nun kann keine Bundesregierung hier Ersatz schaffen. Das können nur Unternehmer, die mit neuen Produkten Risiken eingehen. Vom „Merkel-Aufschwung“ jedenfalls, den Ökonomen für 2006 erwarten, bleibt nichts übrig, wenn es ein Jahr der Arbeitskämpfe werden sollte.

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