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Politik: Fünf Zentimeter Verteidigung

Bush lässt seine Militärakten veröffentlichen. Doch über das umstrittene Jahr in Alabama sagen sie offenbar nichts

Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von freien Tagen. Das gilt besonders für Politiker. In den USA ist dies ein langes Wochenende, am Montag wird „President’s Day“ gefeiert. Doch ausgerechnet dem Präsidenten, George W. Bush, sitzt ein Skandal im Nacken. Seit mehr als einer Woche kursiert der Vorwurf der Drückebergerei. Zwischen Mai 1972 und Mai 1973, während seine Kameraden in Vietnam kämpften, soll er sich im US-Bundesstaat Alabama unerlaubt vom Dienst bei der Nationalgarde entfernt haben.

Bis zum Freitag war der Erklärungsdruck so groß geworden, dass das Weiße Haus – gerade noch rechtzeitig vor dem unkontrollierbaren, langen Wochenende, an dem Affären, oft ein Eigenleben entfalten – in die Offensive ging. Um 18.30 Uhr, ohne vorherige Ankündigung, wurde die angeblich komplette Militärakte von Bush öffentlich gemacht. Es sind Hunderte von Dokumenten, rund fünf Zentimeter dick ist das Konvolut. Motiviert war der Schritt durch eine simple Hoffnung: Am Sonnabend würde Bush für seine Offenheit gelobt, den Kritikern der Wind aus den Segeln genommen. Doch es kam anders. „Viele Lücken“ enthielten die Akten, titelte die „Washington Post“, in der Unterzeile heißt es: „Die freigegebenen Papiere dokumentieren nicht den Dienst in Alabama.“ Mit anderen Worten: Der Verdacht der häufigen Fehlzeiten ist nicht entkräftet.

Pointiert formuliert lautet der Vorwurf: Bush wollte nicht nach Vietnam. Deshalb hatte er sich zur so genannten „Champagner-Einheit“ bei der Nationalgarde gemeldet, die den Söhnen privilegierter Familien als Refugium galt. In den letzten zwölf Monaten hatte er selbst diesen Dienst geschwänzt und statt dessen die Wahlkampagne eines republikanischen Familienfreundes geleitet. Bush bestreitet vehement, jemals den Dienst geschwänzt zu haben. Doch bislang fehlt jeder Beleg dafür, auch in den neu vorgelegten Akten. Es gibt lediglich den Nachweis über eine Zahnbehandlung in Alabama, datiert auf den 6. Januar 1973.

Warum sind diese Vorwürfe, die im Kern bereits seit dem vorhergehenden Präsidentschaftswahlkampf bekannt sind, plötzlich so brisant? Die Antwort besteht aus zwei Teilen: Irakkrieg und John Kerry. Wegen der anhaltenden Anschläge im Irak und der fehlenden Massenvernichtungswaffen stellt sich vielen Amerikanern die Frage der Legitimität dieses Krieges neu. Hat uns ein verhätschelter Oberbefehlshaber, der nie ein eigenes Risiko eingegangen ist, in die Irre geleitet? Dieser Verdacht rumort in den Kreisen der Opposition. Abgesehen davon gibt es auch Zweifel am Krisenmanagement der Regierung nach dem 11. September. Um nicht vor dem zuständigen Untersuchungsausschuss aussagen zu müssen, will sich der Präsident nun zu einem privaten Gespräch mit der Kommission treffen. Und dann ist da der demokratische Präsidentschaftsbewerber John Kerry, ein hoch dekorierter Vietnam-Veteran. Der Senator aus Massachusetts liegt in einigen Umfragen bereits vor Bush, dessen Glaubwürdigkeit starke Einbußen erlitten hat. Der Glanz des einen lässt die Vergangenheit des anderen um so peinlicher wirken.

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