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Politik: Für Bildung ist es nie zu früh

MIT VIER IN DIE SCHULE?

Von Anja Kühne

Noch verbringen Deutschlands Kleinkinder ihre Zeit damit, die Kita mit dem Dreirad zu erkunden oder mit Fingerfarben zu experimentieren. Doch die glückliche Schonzeit könnte demnächst vor dem sechsten Lebensjahr zu Ende gehen. In einer Gesellschaft, die so schnell altert wie die deutsche, wird jeder Kopf gebraucht – sei er auch noch klein. Das jedenfalls sagt die Studie „Bildung neu denken“ der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, an der über 70 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft mitgearbeitet haben. Eine der vielen Empfehlungen: Vierjährige, die reif genug sind, sollten eingeschult werden. Nur wenn es gelinge, alle „Bildungsreserven zu mobilisieren“, könne das Land seinen Wohlstand sichern.

Die „Bildungsreserven mobilisieren“: Das klingt, als stünden Deutschlands Schulen und Hochschulen vor einer Entscheidungsschlacht. Damit das Land im globalen Wettbewerb überleben kann, entreißen Headhunter Kleinkinder dem freien Spiel und formen sie in der Schule zu Rentenbeitragszahlern. Die Studie hält noch andere schockierende Ideen bereit. Schon mit 14 Jahren könnte die Schulpflicht enden. Manche dieser jungen Teenager würden ins Berufsleben geschickt werden; in Teilen der Ferien hätten die Schüler Unterricht; die Lehrlinge würden ohne Gehalt arbeiten; Studenten müssten Gebühren zahlen. Auf den ersten Blick scheint da eine freudlose Bildungswelt auf die Deutschen zuzukommen: kurze Kindheit, hartes Büffeln, teures Studium – ein Sparta mit ökonomischem Nutzdenken.

Doch in Wahrheit ist das keineswegs das Ziel der Forscher. Sicherlich soll der Einzelne stärker und auch früher in die Pflicht genommen werden – auch finanziell. Das kennt man schon von den Hartz- und Rürup-Berichten für den Arbeitsmarkt und das Gesundheitswesen. Doch dort springt für den Bürger kein Mehrwert heraus: Er muss selbst mehr leisten, um das Solidarsystem vor dem Kollaps zu bewahren.

Bei der Reform des Bildungswesens, wie sie die Studie bis zum Jahr 2020 entwirft, ist das anders. Dort sollen die Bürger als Lohn für größeren Einsatz auch mehr herausbekommen: Lehrlinge sollen kostenlos arbeiten, doch dafür denken die Forscher jedem eine Lehrstelle zu. Für manche kann die Schulzeit schon im Alter von 14 Jahren enden: kein Nachteil für notorische Schwänzer, stünde ihnen dann wirklich ein Job offen, der sie von der Straße holt. Ja, es gibt Studiengebühren, aber trotzdem sollen viel mehr Kinder aus unteren Schichten studieren als heute, nämlich die Hälfte eines Jahrgangs. Gelingt es, die Studienzeiten mit den neuen Abschlüssen zu verkürzen, wäre das ein Fortschritt.

Von der Schule erwarten die Forscher, dass sie sich um alle mehr bemüht als bisher – sogar um die 20 Prozent der Schüler, die heute als nicht berufsbildungsfähig gelten. Schon Kleinkinder sollen deshalb so viel pädagogische Zuwendung bekommen wie nie zuvor. Wer kann und will, macht seine ersten Rechenübungen dann schon etwas früher. Fingerfarbe und Dreiräder dürfen trotzdem bleiben.

All das sind keine mit eiserner Hand geschriebenen Gedanken, im Gegenteil. Dem Staat wird aufgetragen, seine Bildungsausgaben deutlich zu erhöhen. Würden die Empfehlungen umgesetzt, gäbe es in Deutschland mehr Bildungsgerechtigkeit denn je zuvor. Davon würde gerade auch die Wirtschaft profitieren, deren Innovationskraft sich aus Humankapital speist. Den Politikern wird mit der Studie eine Gebrauchsanweisung für eine längst überfällige große Bildungsreform an die Hand gegeben. Hat der Plan Chancen? Wenn wir ihn vor den Bedenkenträgern schützen können, schon.

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