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Politik: "Für die NS-Opfer ist es fünf nach zwölf"

Der tschechische Außenminister über Entschädigungsfragen, bilaterale Beziehungen und den EU-BeitrittJan Kavan (53), Tschechiens Außenminister, trifft heute in Berlin mit seinem deutschen Kollegen Joschka Fischer zusammen. Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist dabei eines der geplanten Themen.

Der tschechische Außenminister über Entschädigungsfragen, bilaterale Beziehungen und den EU-Beitritt

Jan Kavan (53), Tschechiens Außenminister, trifft heute in Berlin mit seinem deutschen Kollegen Joschka Fischer zusammen. Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter ist dabei eines der geplanten Themen. Mit Minister Kavan sprach Alexander Loesch.

Herr Minister, 1997 haben Deutschland und die Tschechische Republik eine Versöhnungsdeklaration vereinbart. Wie sieht die praktische Bilanz aus?

In den letzten drei Jahren ist diesbezüglich mehr erreicht worden als in den ganzen fünfzig Nachkriegsjahren zuvor. Der Sinn der Deklaration vom 21. Januar 1997 über die bilateralen Beziehungen und deren künftige Entwicklung war, einige strittige Fragen aus der Vergangenheit abzuschließen und zugleich den Raum für eine Vertiefung der Partnerschaft in dem sich integrierenden Europa zu öffnen. Und ich glaube, dass dies gelungen ist. Ich freue mich über die grenzüberschreitende Kooperation, über den Jugendaustausch, weil dies den Boden für eine bessere gemeinsame Zukunft vorbereitet.

Wie sehen Sie den Stand der Verhandlungen über eine Entschädigung der tschechischen NS-Opfer?

Diese Frage ist nicht primär ein tschechisch-deutsches Problem, sondern ein Versuch, dieses drückende Erbe des Zweiten Weltkriegs global anzugehen. In der Tschechischen Republik werden in diesem Zusammenhang keine negativen Emotionen geschürt oder gar deutschfeindliche Bilder hervorgeholt. Die Diskussion wird sachlich und korrekt geführt. Für die NS-Opfer aus Mittel- und Osteuropa, einschließlich der tschechischen, hat aber die Entschädigungsfrage eine Dimension, die bislang offenbar nicht ganz begriffen wurde: Es ist nämlich zum ersten Mal die Chance, diese Menschen gleichberechtigt zu behandeln. Vergessen Sie nicht, dass aus jener Wiedergutmachung, die Deutschland nach dem Krieg ausgezahlt hatte, nur ein Prozent den Opfern in diesem Teil Europas zugute kam. Die heutige Chance dürfen wir nicht vertun. Zugleich möchte ich hier mein Bedauern darüber ausdrücken, dass die konkreten Kriterien-Fragen für die Auszahlung nicht schon früher verhandelt wurden, wie es die tschechische Delegation einst vorgeschlagen hatte, und dass stattdessen die Verhandlungen unsinnigerweise lange auf die Frage der Gesamtsumme fixiert waren. Jetzt leiden wir unter den Folgen.

Woran hakt es konkret?

Delegationen aus Mittel- und Osteuropa legten bislang als einzige detailierte Ausführungspläne vor. Die anderen mühen sich erst mit deren Festlegung ab, weil sie sich noch nicht vom Denken in globalen Milliardensummen loslösen können. Es ist aber schon fünf Minuten nach zwölf. Mit jedem weiteren Tag bleiben immer weniger von jenen alten, kranken und enttäuschten Menschen übrig, die seit fünfundfünzig Jahren auf Gerechtigkeit warten.

Die Vertreibung der Sudetendeutschen betrachtet das offiziele Prag als ein zwar tragisches, aber abgeschlossenes Kapitel. Nun gibt es im Programm der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung in Wien die Forderung nach einer Entschädigung der in Österreich lebenden Vertriebenen. Gibt es hier Verhandlungsbedarf?

Nein. Der durch NS-Deutschland entfachte Krieg hatte eine Reihe tragischer Folgen auch für einzelne Deutsche, die alle als Feinde wahrgenommen wurden - einschließlich Luftangriffe, Vetreibung und materielle Verluste. Heute sehen wir vieles anders, einiges ist durch die Entwicklung überwunden. Wichtig ist, dass sich die einstige Feindschaft in Partnerschaft verwandelt hat. Österreich bekannte sich übrigens eher zu den Allierten und fühlte sich daher 1945 für jene Bevölkerungsgruppe, die mit Deutschland identifiziert wurde, nicht verantwortlich. In den vorigen Jahrzehnten war es außerdem die tschechische Seite, die ihre historischen Verpflichtungen gegenüber Österreich finanziell einlöste. Niemals war es umgekehrt. Sicher ein Grund zum Nachdenken. Wir sperren uns freilich nicht einem Gedankenaustausch über die verschiedenen rechtshistorischen Aspekte unserer Beziehungen zu Österreich, wenn eine Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens wieder hergestellt wird.

Jene sogenannte Benes-Dekrete, die die Enteignung der Sudetendeutschen einst begründeten, bleiben ein Streitthema. Tschechien sieht diese in ihrer Gültigkeit als "erloschen" an. Doch etwa das EU-Parlament fordert, dass sich Prag von diesen offiziell distanziert, weil sie dem europäischen Recht widersprechen. Wo ist der Ausweg?

Von den Dekreten des Präsidenten Benes aus der Zeit seines Londoner Exils und der unmittelbaren Nachkriegszeit gibt es mehr als hundert; nur wenige betreffen die Deutschen. Die Enteignungsdekrete bezogen sich auf das sogenannte "feindliche Eigentum", das heißt den Besitz der Deutschen - und nicht nur der Sudetendeutschen - mit Ausnahme aktiver Antifaschisten, und auch auf tschechische Kollaborateure. Diese Dekrete lösten aber auch eine Reihe anderer Probleme. Es ist schier unmöglich, die Dekretefrage aus dem Kontext des Krieges herauszulösen. Andererseits sind daraus schon längst nur historische Dokumente geworden, die als Rechtsnorm in der Tat erloschen sind. Diese Einschätzung ist auch in unserer Außenpolitik fest verankert.

Und was meint die EU dazu?

Die Europäische Kommission hat bereits signalisiert, dass sie nicht vorhat, die Geschichte einzelner Länder unter die Lupe zu nehmen. In Deutschland galten doch bis 1998 noch Urteile der "Volksgerichte", auf deren Grundlage etwa auch tschechische Widerstandskämpfer einst umgebracht wurden und deren Familien dazu dann die Kosten für die Hinrichtung an das Reich zahlen mussten. Entschädigt wurden sie übrigens bis heute nicht. Die Tschechische Republik ist heute ein Rechtsstaat, in dem das Eigentum von eigenen Bürgern wie auch Ausländern geschützt ist. Das ist maßgebend.

Was sind die Prioritäten Ihrer Außenpolitik und wann erwarten Sie die EU-Aufnahme Ihres Landes?

Für unser Parlament ist es weiter die Integration in die euroatlantischen Strukturen. Im Falle der Nato ist es seit einem Jahr Wirklichkeit. Daher ist es jetzt vor allem unser EU-Beitritt, den wir uns für das Jahr 2003 wünschen. Wie aber auch unser Premier Milos Zeman mehrfach betonte, entscheidend für uns ist, dass wir für die Mitgliedschaft voll vorbereitet sind und nicht irgendein dogmatisches Beharren auf ein bestimmtes Datum. Wir gehen aber weiter davon aus, dass 2003 als Arbeitstermin für uns realistisch ist. Ich hoffe, dass bis dahin auch die EU auf die Erweiterung vorbereitet wird. Unsere Außenpolitik legt außerdem großen Wert auf die Entwicklung guter Beziehungen zu unseren Nachbarn, auf eine Stärkung der Regionalkooperation in Mitteleuropa.

Herr Minister[1997 haben Deutschland], die Tsch

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