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Politik: Für neue Ziele gerüstet (Leitartikel)

Wer eine Kommission einsetzt, um Anregungen für die Lösung eines Problems zu erhalten, und diese Kommission mit unabhängigen und undogmatisch denkenden Bürgern besetzt, darf sich nicht wundern, wenn deren Vorschläge dann quer zu allen Denkroutinen liegen. Im Gegenteil: Würden die jetzt durch Indiskretionen bekannt gewordenen und noch nicht abschliessend beratenen Empfehlungen der "Zukunftskommission" der Bundeswehr sofort breite Zustimmung in allen politischen Lagern finden, müsste man das Arbeitsergebnis eher misstrauisch beäugen.

Wer eine Kommission einsetzt, um Anregungen für die Lösung eines Problems zu erhalten, und diese Kommission mit unabhängigen und undogmatisch denkenden Bürgern besetzt, darf sich nicht wundern, wenn deren Vorschläge dann quer zu allen Denkroutinen liegen. Im Gegenteil: Würden die jetzt durch Indiskretionen bekannt gewordenen und noch nicht abschliessend beratenen Empfehlungen der "Zukunftskommission" der Bundeswehr sofort breite Zustimmung in allen politischen Lagern finden, müsste man das Arbeitsergebnis eher misstrauisch beäugen. Andererseits ist Staub aufwirbeln allein noch kein Kennzeichen effizienter Arbeit eines solchen Sachverständigenrates. Man muss also genau hinschauen.

Eines stand ohnedies fest: Die Ausgangslage war zu kompliziert, als dass man mit einem einzigen genialen Gedanken alle Fragen hätte beantworten können. Das Ende des Kalten Krieges machte eine Bundeswehr überkommenen Zuschnitts überflüssig. Gebraucht werden nun international einsetzbare Krisenreaktionskräfte. Diese müssen anders bewaffnet und professioneller ausgebildet sein als eine herkömmliche Wehrpflichtarmee. Das tangiert die Wehrgerechtigkeit und wird zudem eher teurer als billiger, weil die Bundeswehr nicht einmal über die nötige Transportkapazität zu Wasser und in der Luft verfügt. Die Bürger wollen jedoch nicht mehr zahlen, sondern erwarten sogar eine Friedensdividende. Gerade weil die Regierung Kohl keine vernünftige Antwort auf diese existentielle Krise der Streitkräfte gefunden und sie lediglich an den Rand der Nichtmehreinsetzbarkeit kaputt gespart hatte, war der Zwang zu unkonventionellen Lösungen so offenbar geworden.

Wenn die Bundeswehrkommission den Umfang der Krisenreaktionskräfte von jetzt 50 000 auf 140 000 Mann erhöhen will, entspricht sie damit tendenziell den Vorstellungen des Verteidigungsministeriums. Der Kosovoeinsatz der Bundeswehr hat die Knappheit der Ressourcen offen gelegt. Der schwierige Auslandseinsatz zieht sich für die Soldaten länger hin als wünschenswert, die fällige Rotation der Kräfte scheitert am Personalmangel.

Falls künftig von einem Geburtsjahrgang nur noch 30 000 von 400 000 jungen Männern zum Wehrdienst eingezogen würden, kann man von Wehrgerechtigkeit nicht mehr reden. Andererseits ist die Wehrpflicht kein Selbstzweck. Es ist nicht einzusehen, warum Jahr für Jahr mehr als 100 000 Menschen in der Landesverteidigung geschult werden, wenn weit und breit kein Feind auszumachen ist. Deshalb haben fast alle mitteleuropäischen Staaten die Wehrpflicht abgeschafft oder sind dabei, dies zu tun. Der Auswahlwehrdienst, den die Kommission vorschlägt, hat offensichtlich vor allem den Sinn, die geeigneten Bewerber als Berufs- oder Zeitsoldaten finden zu können.

In der Vorstellung, die zivile Bundeswehrverwaltung deutlich zu reduzieren, trifft sich die Kommission mit den in der vergangenen Woche in Berlin vorgestellten Plänen von Minister Rudolf Scharping. Die geschäftsführend von Annette Fugmann-Heesing mitgeleitete, neue Agentur soll unter anderem den Weg dafür ebnen, mehr Verwaltungs-, Beschaffungs- und Unterhaltsfunktionen auf die freie Wirtschaft zu übertragen.

Politisch ein längst nicht mehr so heißes Eisen wie noch vor zwei Jahren wäre die Umsetzung der Idee, alle zentralen Abteilungen des Verteidigungsministeriums nach Berlin zu verlagern. Das liefe zwar dem Umzugsbeschluss des Parlamentes zuwider, legalisierte aber lediglich die bereits weitgehend entstandene, faktische Lage.

Was die Kommission tatsächlich zur Neuordnung der Kommando- und Führungsstrukturen vorschlägt und ob sie dem Generalinspekteur mehr Rechte geben möchte, wird sich am 23. Mai zeigen, wenn sie der Öffentlichkeit den überarbeiteten Vorschlagskatalog präsentiert. Was insgesamt bislang bekannt wurde, ist zwar einschneidend, aber doch nicht so grundstürzend, wie manche überzogene Reaktion glauben machen könnte. Offensichtlich schlägt die Kommission genau jene Strukturreformen vor, die die Politik einzuleiten nicht in der Lage war. Das aber war, exakt, die gestellte Aufgabe.

Gerd Appenzeller

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