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Politik: Funktionäre ins Trainingslager

Von Markus Hesselmann

Wenn heute Abend die Athleten ins Stadio Olimpico von Turin einlaufen, dann ist das nicht nur der Auftakt der Olympischen Winterspiele. Die Eröffnungsfeier ist auch das erste weltumspannende Ereignis des großen Sportjahres 2006, in dem die Fußball-WM in Deutschland vom 9. Juni an im Mittelpunkt steht. Die Deutschen sind ein sportbegeistertes Volk. Millionen werden von heute an voller Spannung an den Fernsehgeräten die Wettkämpfe in den piemontesischen Alpen verfolgen. Nach einer gestern veröffentlichten Umfrage des Kölner Instituts „Sport und Markt“ interessieren sich 85 Prozent der Bundesbürger für die Winterspiele, ebenso viele wie für die Fußball-WM.

Die Fans sind bereit – genau wie die Athleten. In Turin werden die deutschen Wintersportler aller Voraussicht nach sehr gut abschneiden, vielleicht sogar die erfolgreichste Mannschaft stellen. Bei den deutschen Fußballern hat sich zuletzt immerhin vieles verbessert. Es besteht die Hoffnung, dass die junge Mannschaft von Bundestrainer Jürgen Klinsmann bei der WM im eigenen Land einen guten Eindruck hinterlässt, wenn sie wie 2005 beim Confed-Cup von der Begeisterung im Lande getragen wird.

Alles auf gutem Wege? Nicht ganz. Im Trainingslager der Funktionäre läuft immer wieder was schief. Warum provoziert der Deutsche Fußball-Bund vier Monate vor der WM einen solchen Eklat wie den vom Mittwochabend? Die Kritik am Ticketverkauf und an der Sicherheit der WM-Stadien reichte den Frankfurter Funktionären offenbar nicht. Sie mussten hier und jetzt ihre Macht demonstrieren und ihren wichtigsten leitenden Angestellten in aller Öffentlichkeit demontieren. Dabei hätte die Entscheidung über den neuen Sportdirektor problemlos nach der WM fallen können. In vier Monaten lässt sich ohnehin nicht nachholen, was in vier mal vier Jahren verschlafen wurde: ein Konzept für eine bessere Nachwuchsarbeit zu entwickeln.

Auch inhaltlich ist das Votum für Matthias Sammer und gegen Klinsmanns Kandidaten, Hockey-Bundestrainer Bernhard Peters, grundfalsch. Nichts gegen Sammer – als Fußballer, als Mensch. Aber Peters, der Mann mit Distanz, mit Überblick, mit wissenschaftlicher Akribie, wäre die bessere Wahl gewesen für einen Verband, der sich seit Jahren selbst genügt. Die Bestellung des von Vereinsmeierei unbelasteten Klinsmann zum Bundestrainer war eigentlich ein Zeichen, dass sich was ändern sollte. „Aber bitte nicht so doll!“, rufen die DFB-Chefs jetzt. Die Reform bleibt stecken. Klinsmann wird unter diesen Voraussetzungen kaum weitermachen nach der WM.

Der DFB steht mit all seiner Selbstgerechtigkeit im deutschen Sport nicht allein. Das Nationale Olympische Komitee etwa fällte vor den Winterspielen die – richtige – Entscheidung, den früheren Stasi-IM Ingo Steuer nicht als Eiskunstlauf-Trainer in die deutsche Delegation aufzunehmen. In der irrigen Annahme, dass solche Entscheidungen schon deshalb unangreifbar sind, weil deutsche Sportfunktionäre sie gefällt haben, wurde versäumt, sie auch gerichtsfest zu begründen. Steuer durfte mit der deutschen Mannschaft nach Turin reisen. Zuvor lieferten sich NOK und Deutscher Sportbund (DSB) einen monatelangen kleinkarierten Streit um Posten und Kompetenzen im fusionierten Deutschen Olympischen Sportbund.

Im großen Sportjahr 2006 stehen die deutschen Sportler gut da. Die deutschen Sportfunktionäre müssen noch einmal ins Trainingslager.

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