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Politik: Furcht vor dem Volk

Die Union tut sich mit der Arbeitsmarktreform schwer, will aber offiziell nicht von Beschlüssen abrücken

Von Robert Birnbaum

Berlin - Eigentlich müsste es die Opposition freuen, wenn die Leute gegen die Regierung auf der Straße demonstrieren. Es freut die Opposition aber überhaupt nicht. Im Gegenteil, der Unmut über das Hartz-IV-Gesetz geht zusehends auch CDU und CSU unter die Haut. Und es sind keineswegs nur Wahlkämpfer wie der Sachse Georg Milbradt oder der Nordrhein-Westfale Jürgen Rüttgers, die neuerdings nichts mehr so recht mit dem Projekt zu tun haben wollen. Zunehmend schwant Unionspolitikern, dass die Geister, die sie mit dem Zauberwort „Reform“ selbst mit gerufen haben, nicht nur für die Regierung schwieriger zu bändigen sein werden als gedacht.

Volker Kauders Anmerkungen gelten aber erst einmal den Milbradts, die mit den Montagsdemonstranten kokettieren, und den Rüttgers, die nach „Generalrevision“ des Hartz-Gesetzes rufen. „Wir haben Hartz IV im Vermittlungsausschuss mitbeschlossen“, erinnert der Fraktionsgeschäftsführer der Union am Mittwoch seine Parteifreunde. „Wir stehen zu dem Gesetz.“ Das ist die amtliche Linie, mit der urlaubenden Partei- und Fraktionschefin abgesprochen, geometrisch betrachtet eine wie mit dem Lineal gezogene Gerade. Allerdings geht die Gerade, wenn Kauder weiterredet, recht schnell in eine eher schlangenförmige Linie über. Dass sich die Union „manches anders“ vorgestellt habe, merkt der Stallwächter der Unionsspitze an, und dass die Opposition sich mit ihrem Ja im Bundesrat nicht auch für die „handwerklich miserable“ Umsetzung durch die Bundesregierung in die Haftung nehmen lasse.

Wem dieses Muster aus der Gesundheitsdebatte vertraut vorkommt, der ist auf der richtigen Spur: im Grundsatz zur Mitverantwortung stehen, die ja auch gar nicht zu leugnen ist – aber jeden Unmut im Volk auf mangelhaftes Handwerk der Regierung zurückführen. Bei der Gesundheitsreform ist die Union damit besser gefahren als sie selbst gedacht hat; den Ärger, selbst über Oppositionsideen wie die Praxisgebühr, hat praktisch komplett die rot-grüne Koalition einkassiert.

Ob der Trick auch beim Hartz-Gesetz funktioniert, ist eine andere Frage. Und manche führende Unionspolitiker wissen selbst nicht mehr genau, ob sie sich das überhaupt wünschen sollen. Der Anti-Hartz-Protest, beobachtet ein CDU-Spitzenmann, gehe weit über die üblichen Aufschreie der üblichen Betroffenen hinaus. „Das sind ja nicht Sozialhilfeempfänger, die diese Proteste tragen“, sagt er. „Das sind ganz normale Arbeitnehmer aus der Mittelschicht, die jetzt Verlustängste bekommen.“ Leute also, die auch als CDU- und allemal als CSU-Wähler in Frage kommen. Leute auch, die bisher die Ankündigung aus dem bürgerlichen Lager, man werde noch weit mehr zu reformieren haben als sich Rot-Grün traue, als etwas verstanden hatten, was sie nichts angeht. Seit Hartz, sagt der CDU-Mann, ist das anders geworden. Die Angst vor „Verproletarisierung“ gehe um. Auf solche Ängste habe auch die Union bisher keine Antwort. Mit „halbherzigen Absetzbewegungen“ werde es da nicht getan sein.

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