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Politik: Fußball und Schulterklopfen

Für Putins Staatsbesuche in Italien und Frankreich ist Harmonie geplant – nur die EU will kritische Fragen stellen

EUROPA UND DER FALL JUKOS

Auf der ersten Station seiner Reise wurde es Wladimir Putin noch leicht gemacht. Gastgeber Silvio Berlusconi lud ihn zu einem gemütlichen Fußballabend in seinem Amtssitz ein. Schließlich spielte der Verein des italienischen Premiers, AC Mailand, und so verbrachten die beiden Freunde den Abend nebeneinander vor dem Fernseher. Zeit für kritische Fragen zur Affäre um den inhaftierten russischen Ölmilliardär Chodorkowskij blieb da freilich nicht. Man kennt sich und man mag sich, und so wunderte sich niemand, dass nach dem gemeinsamen Abendessen, an dem auch Berlusconis Frau Veronica teilnahm, die weltpolitischen und bilateralen Themen nicht auf der Tagesordnung standen.

Putins Reise nach Italien und Frankreich ist ein Test – für seine europäischen Partner ebenso wie für den Präsidenten selbst. Putin hat die Affäre Chodorkowskij zur inneren Angelegenheit erklärt und sich jede Einmischung verbeten. Und daran haben sich die Europäer bislang gehalten. Seit der Verhaftung eines der reichsten Geschäftsmänner Russlands vor anderthalb Wochen herrscht in den europäischen Hauptstädten Schweigen. Im Berliner Kanzleramt hieß es in dieser Woche lediglich, man gehe „selbstverständlich“ davon aus, dass Chodorkowskij ein rechtsstaatliches Verfahren bekomme. Kritik am Vorgehen der russischen Behörden äußerten bislang lediglich die USA. Doch diese wurde aus Moskau sogleich brüsk zurückgewiesen. In einer Erklärung bezeichnete das russische Außenministerium die Äußerungen aus Washington als „unkorrekt und respektlos im Verhältnis zu Russland“.

Offiziell werden Chodorkowskij schwerer Betrug und Steuerhinterziehung im Umfang von knapp einer Milliarde Euro vorgeworfen. Doch der 40-Jährige unterstützte auch politische Parteien und wollte möglicherweise selbst in die Politik gehen. Er war und ist also ein potenzieller Rivale Putins. Und das, so glauben Beobachter, könnte der wahre Grund für seine Verhaftung gewesen sein. Denn dass der smarte Milliardär beim Aufbau seines Wirtschaftsimperiums von dubiosen Privatisierungsgeschäften nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion profitiert hat, war seit langem bekannt.

In den europäischen Medien wird der Ruf nach „klaren Worten“ an die Adresse des Freundes aus Moskau indes immer lauter. Und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erinnerte am Mittwoch daran, dass auch das Tschetschenien-Problem weiter ungelöst ist. Doch zumindest Silvio Berlusconi will die bilateralen Beziehungen zu Russland durch nichts belastet wissen. Nicht nur, weil er Putin mag, sondern weil Russland ein wichtiger Handelspartner für Italien ist. Und so wurde am Mittwoch in Rom Normalität demonstriert: Nachdem Putin am Denkmal des unbekannten Soldaten einen Kranz niedergelegt hatte, traf er zunächst Italiens Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi. In ihrer gemeinsamen Pressekonferenz lobten beide die ausgezeichneten Beziehungen ihrer Länder und forderten ein gemeinsames Vorgehen zur Lösung des Nahost-Konflikts. Mittags folgten Gespräche zwischen Berlusconi und Putin: Schulteklopfen auch hier. Die beiden diskutierten gar die mögliche Eingliederung Russlands in die EU.

Am Mittwochnachmittag war Putin Gast im Vatikan. Aus dem vatikanischen Staatssekretariat sickerte die Nachricht durch, dass der Einsatz Putins für das Festschreiben der christlichen Identität in der europäischen Verfassung vom Papst ausdrücklich begrüßt wurde. Kritik? Fehlanzeige!

Beim EU-Russlandgipfel am heutigen Donnerstag, der ebenfalls in Rom stattfindet, wird der russische Präsident nicht ganz so glimpflich davonkommen. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi will nicht nur auf Jukos, sondern auch auf die Pressefreiheit in Russland zu sprechen kommen. Ein Sprecher der Kommission wies vorab auf gemeinsame Werte und Regeln als Grundlage für eine engere Zusammenarbeit hin. Die Jukos-Affäre sei ein Testfall für die Reform des Justizwesens in Russland, sagte der Sprecher weiter. In Paris, wo Putin am Freitag mit Präsident Jacques Chirac zusammentrifft, dürfte dann aber wieder alles glatt gehen für den Russen: Auch aus Frankreich war bisher wenig zum Fall Jukos zu hören.

Thomas Migge[Rom]

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