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Futtermittelskandal: Dem Dioxin auf der Spur

Gerd Bölle kontrolliert Futtermittel – und bezweifelt, dass sich die Überwachung in Zukunft grundlegend bessern wird.

Von Katrin Schulze

Das kleine Büro fährt immer mit. Wenn Gerd Bölle auf Touren geht, reicht sein BMW kaum aus, um die von ihm benötigten Arbeitsmaterialien alle unterzubringen. Der Kofferraum des Dienstwagens quillt fast über, dabei ist alles so akkurat sortiert. Eine dicke schwarze Ledertasche steht neben der Handwerkerkiste, dazu kommen Behältnisse, die an Tupperdosen erinnern, ein armeegrüner Parka und Gerätschaften, die für eine Laien nicht zu identifizieren sind. Was nicht nach hinten passt, landet auf der Rückbank – Kisten, Tüten, ganz oben unterm Dach klemmt ein schwarzer Rucksack.

Organisation ist alles in der Welt von Gerd Bölle, „anders geht dit ja och nicht“, sagt er in schönstem Berlinerisch, während ihn die Autobahn Richtung Norden trägt. 45 000 Kilometer hat Bölle auf diese Weise allein im vergangenen Jahr zurückgelegt. Er hat immer gut zu tun, denn er ist Futtermittelkontrolleur: Pro Jahr produziert die deutsche Futtermittelindustrie etwa 28 Millionen Tonnen Mischfutter.

In diesen Tagen aber ist vieles anders im Leben von Gerd Bölle. Die Aufregung über Dioxin in Eiern und Fleisch hat seinen Berufszweig, für den sich außerhalb von Skandalperioden kaum interessiert, ins Rampenlicht befördert. Auf einmal will jeder etwas über Bölles Tätigkeit wissen, auch im Fernsehen war er schon. „Langsam wird es etwas zu viel“, sagt er. Zumal er sich gerade jetzt auf seinen Job besonders konzentrieren muss.

So kurvt er jeden Tag noch ein bisschen länger durchs brandenburgische Hinterland. Wegen des Dioxinskandals erwartet das Agrarministerium bis kommenden Montag von jedem Bundesland eine Auflistung über die Wege des Futterfetts: Herkunft, Lieferlisten, Speditionswege und so weiter. Also klappert Gerd Bölle einen Betrieb nach dem anderen ab; genau wie seine drei Kollegen. Vier amtliche Kontrolleure für 972 Firmen gibt es im Land Brandenburg – für Lagerstätten, Hersteller, Speditionen und Händler. Manchmal wünscht sich Bölle einen weiteren Mitarbeiter, aber so oder so seien „mehr als risikoorientierte Beprobungen gar nicht möglich“, findet er.

Wie oft er welche Betriebe anfährt, hängt davon ab, wie groß ein Unternehmen und ist und welches Sortiment es führt. Mal klopft Gerd Bölle achtmal im Jahr an die Tür und mal nur alle zwei Jahre einmal. Mittlerweile kommt es nur noch selten vor, dass der Prüfer dabei seinen Dienstausweis über den Tisch schieben muss, die meisten Firmen kennen und begrüßen ihn nach all den Jahren mit Namen. „Herr Bölle ist hier“, hallt es an einem verregneten Januartag durch die Büroräume einer Firma bei Neuruppin, ohne dass Herr Bölle sich zuvor vorgestellt hätte. Aufgeregt wirkt hier niemand, als er kurz darauf nach Unterlagen fragt, einen Rundgang durch die Lagerräume sowie eine Probeentnahme ankündigt. Aus Malaysia geliefertes Palmfett, das die Firma als Einzelfuttermittel verkauft, hat sich Bölle vorgenommen.

In der großen, kalten und muffigen Lagerhalle öffnet er später vier riesige, 625 Kilogramm schwere Packungen und schiebt einen Probestecher in die Fettmasse; Dreck bleibt da nicht aus. Das pulvrige, getrocknete Palmfett klebt fies an Fingern und Klamotten, nicht umsonst hat sich der Prüfer zuvor seinen in die Jahre gekommenen Parka übergestreift. Dann siebt er das Fett, teilt und kreuzt es, wie es in der Fachsprache heißt, und füllt die Proben in vier Tütchen. Etwa eine Stunde dauert das Prozedere, je nach Art der Stoffe kann aber auch schon mal ein halber Tag draufgehen. „Das können sich die meisten da draußen ja gar nicht vorstellen“, sagt Gerd Bölle. Überhaupt wüssten viele nicht, wie komplex sein Job ist: „Wir machen von der Zulassung bis zur Probeentnahme und Buchhaltung alles.“

Bölle ist diplomierter Agraringenieur – das Hochschulstudium wird vorausgesetzt –, aber in gewisser Weise ist er auch Jurist, Chemiker, Mathematiker und Diplomat. Die Rolle des Kommunikators scheint ihm besonders zu liegen. Er plaudert gerne mit den Leuten, tritt bestimmt auf, aber nicht streng; Bölle vertritt den Typ legerer, pflegeleichter Kontrolleur. Während viele seiner Kollegen in Anzug und Krawatte bei den Unternehmen aufkreuzen, trägt der 52-Jährige Jeans und einen Ringelpullover.

So sitzt Gerd Bölle jetzt in einem zum Büro umfunktionierten Container am Rande des Industriegebiets in Neuruppin, baut seinen Minidrucker auf und den Laptop, daneben legt er das mit unzähligen bunten Post-its versehene Futtermittelrecht in Buchform – manchmal braucht er das, wenn er sein Protokoll schreibt. Heute setzt Bölle auf dem Bogen ein Kreuz vor dem Begriff „Planprobe“, darunter schreibt auf er, auf welche Substanzen sie untersucht werden soll: Dioxin, PCBs, CKWs und Pflanzenschutzmittel. Bis zu sechs Wochen kann die Auswertung dauern. Anders verhält es sich mit Verdachtsproben, wie sie im Zuge des aktuellen Dioxinskandals genommen wurden. Diese werden bevorzugt behandelt, was in der jüngeren Vergangenheit zu zahlreichen Staus führte. Die Labore kamen mit den Kontrollen kaum hinterher.

Mit der anfallenden Mehrarbeit hat Gerd Bölle kein Problem, schon eher regt er sich darüber auf, dass „die ganze Branche jetzt kriminalisiert wird“. Dabei deutet für ihn im aktuellen Fall einiges auf das vorsätzliche Handeln eines Betriebes hin. Der vermeintliche Verursacher des Skandals, die Firma Harles und Jentzsch aus Schleswig-Holstein, ist Gerd Bölle vor gut einem halben Jahr schon mal untergekommen. Damals jedoch zeigten die beprobten Mittel des Betriebs keinerlei Auffälligkeiten. „Ein wenig übertrieben finde ich das, was aus dem Skandal gemacht wird, schon“, sagt Bölle. Außerdem habe er seine Zweifel, ob das Kontrollsystem wirklich so stark wie angekündigt verschärft und vereinheitlicht werden könne.

Die Problematik liegt im System – jedes Bundesland hat ein eigenes entwickelt. Während im größten deutschen Agrarland Niedersachsen 14 staatliche Prüfer alle mit der Futtermittelindustrie verbundenen Unternehmen überwachen, sind in Brandenburg neben den vier Kontrolleuren vom Land zusätzlich weitere von den Kreisen unterwegs, die sich um die Bauernhöfe kümmern. Torsten Tragmann zum Beispiel. Im Raum Potsdam-Mittelmark hat er etwa 400 Höfe in seiner Verantwortung. Da ist es schlicht „unmöglich, mehr als Stichproben vorzunehmen“, sagt der Prüfer, vielmehr müssten sich Bürger auf die vorgeschriebenen Eigenkontrollen der Betriebe verlassen.

In den meisten Fällen klappt das auch sehr gut, befindet Gerd Bölle. Die Firma bei Neuruppin zum Beispiel macht mehr, als sie eigentlich muss. In einem Schränkchen und in Regalen sammelt sie ihre Rückstellproben, ein Päckchen reiht sich ans nächste. „Einige davon können Sie langsam mal entsorgen“, sagt der Prüfer zum Vertriebsleiter, obwohl ihm ein zu sorgsamer Umgang naturgemäß lieber ist als ein nachlässiger. Bölle hat in all der Zeit als Futtermittelkontrolleur ein Gespür für kleine Schummeleien und heftige Manipulationen entwickelt.

1999, als er anfing, erlebte er gleich den ganz großen Knall. Dioxin. In der Prignitz, seinem Gebiet. Bölle erinnert sich an Brennmaterial, Teppichreste und Kabel, die er damals bei einer Kontrollfahrt auf dem Betriebsgelände vorfand, und daran, dass er sofort Verdacht schöpfte. Im Trockengrün wurde das unsichtbare Gift schließlich nachgewiesen, von der brandenburgischen Provinz aus breitete es sich ins ganze Land aus. Sein schlimmster Fall sei das bislang gewesen, erzählt der Futtermittelkontrolleur.

Gerd Bölle hat in seinem Beruf viel Schmutziges gesehen. Er selbst kauft seine Lebensmittel, seine Eier und Fleischwaren nur bei Bekannten – auf dem Dorf.

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