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G20: Es gibt nur einen Präsidenten

Obama kommt doch nicht zum Finanzgipfel. Es kann nur jeweils einer die Verantwortung tragen, sagt er.

Washington/Berlin - Nimmt er nun teil oder nicht? Bundeskanzlerin Angela Merkel freue sich darauf, Barack Obama während des Finanzgipfels der 20 wichtigsten Volkswirtschaften in einer guten Woche in Washington zu sehen. Das bekräftigte Vizeregierungssprecher Thomas Steg in der Bundespressekonferenz am Freitag in Berlin. In Washington dagegen gibt es bisher keine Bestätigung, dass Obama vorhabe, sich an den Beratungen über einen Ausweg aus der globalen Finanzkrise zu beteiligen. US-Medien benutzen unverändert die Formulierung, Obama habe es abgelehnt, zu Präsident George W. Bushs Finanzgipfel am 15. November zu kommen. „America has one President at a time“, ist seine Standardformulierung. Es kann nur jeweils einer die Verantwortung tragen. Bis zum 20. Januar 2009 ist das Bush, erst nach der Vereidigung wird es Obama sein.

Steg erläuterte am Freitag, wie sich der Widerspruch eventuell auflösen lässt: Obama komme zum Abendessen im Weißen Haus am nächsten Freitag, nicht aber zum eigentlichen Gipfel am Sonnabend. Doch auch diese Aufteilung wird in Washington nicht bestätigt. Nach Informationen des Tagesspiegel aus Kreisen, die mit der Planung befasst sind, wird Obama weder am Abendessen noch am Gipfel teilnehmen.

Hinter den unterschiedlichen Erwartungen stecken gegensätzliche Interessenlagen. Die Gäste aus aller Welt, darunter die Bundeskanzlerin, möchten beim Gipfel in Washington Absprachen treffen, die über den Regierungswechsel in den USA hinaus Bestand haben. Deshalb ist es für sie wünschenswert, dass Obama bei den Beratungen teilweise zugegen ist, und sei es nur beim Abendessen.

Obama hat eine ganz andere Interessenlage. Er möchte sich eine möglichst freie Hand für die Zeit nach der Regierungsübernahme bewahren. Es ist auch eine Frage des richtigen Timings, wann er sich in die Verantwortung für die Lösung der Finanzkrise einbinden lässt. Im Idealfall bleiben der Ausbruch der Krise und ihre Tiefpunkte allein an Bush haften, und der Name Obama taucht erst auf, sobald es wieder aufwärts geht.

Das hindert den „President elect“ nicht daran, schon jetzt den Kontakt mit seinen künftigen Partnern in der Welt zu suchen und ihnen die Kooperation bei der Lösung der Finanzkrise zu versprechen, aber das möchte er nicht im Rahmen eines von Bush geleiteten Gipfels tun.

Am Donnerstagabend deutscher Zeit hatte Obama mit neun Regierungschefs rund um die Welt telefoniert, darunter Angela Merkel. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte, die beiden hätten „eine enge Zusammenarbeit bei der gemeinsamen Bewältigung der zahlreichen Herausforderungen“ vereinbart, mit denen sich die Staatengemeinschaft konfrontiert sehe. Dazu gehörten das iranische Nuklearprogramm, die Stabilisierung Afghanistans, der Klimawandel und die Finanzmarktkrise.

Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass Merkel und Obama sich während des Aufenthalts der Kanzlerin in den USA dennoch sehen, aber aus drei Gründen gilt das derzeit als unwahrscheinlich. Obama hat nicht die Zeit, sich mit allen 20 Gästen des Finanzgipfels zu treffen. Die Bevorzugung einzelner würde zu Verstimmungen führen. Er darf auch nicht den Eindruck eines Gegengipfels zu Bushs Treffen hervorrufen. Zudem koordiniert er seine Regierungsübernahme von Chicago aus, wo er wohnt.

Obamas Zurückhaltung, sich in der Übergangsperiode zwischen zwei Präsidentschaften in die Verantwortung für die Finanzkrise einbinden zu lassen, folgt einem historischen Vorbild: dem Wechsel von Herbert Hoover zu Franklin D. Roosevelt 1932/33, inmitten der Großen Depression infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929. Damals war die Zeit zwischen Wahl und Amtsantritt viel länger, Roosevelt wurde am 4. März 1933 vereidigt. In den langen Monaten nach der Wahl vom 8. November vermied Roosevelt den Kontakt zu Hoover und tat auch nichts, um die damalige Krise durch Zusagen über seine künftige Politik zu dämpfen. Heute beschreiben manche Wirtschaftshistoriker Roosevelts Verhalten als ein Vorgehen, das sich mehr an seinen Interessen als an denen der USA orientiert habe. Christoph von Marschall

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