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Politik: Gaddafis letzter Trumpf

Der Diktator ließ Tripolis mit Wasser aus der Wüste versorgen – das wird den Libyern nun zum Verhängnis

Kein Strom, kein Benzin, kein Wasser – seit Freitag haben die Aufständischen in Tripolis auch an einer zweiten Front zu kämpfen. Die Versorgung der zwei Millionen Bewohner ist zusammengebrochen. Lebensmittel und Medikamente werden knapp, in den Straßen türmt sich stinkend der Müll in der feuchten Hochsommerhitze. Einst hatte Muammar al Gaddafis Regime das gigantische Pipelinesystem des „großen künstlichen Flusses“, als achtes Weltwunder gepriesen. Jetzt nutzt der flüchtige Diktator das Megaprojekt, das Tripolis mit fossilem Trinkwasser aus der Wüste versorgt, als letzte Waffe gegen sein Volk. Seit drei Tagen schon sitzt die libysche Hauptstadt auf dem Trockenen, nachdem Gaddafi-Milizen die Computerzentrale des sogenannten Hassouna-Versorgungsstrangs nahe Ras Lanuf angegriffen haben. Die Ingenieure flohen und halten sie sich seitdem aus Angst um ihr Leben versteckt. Die Rebellen jedoch haben das Gebiet noch nicht unter Kontrolle. Und der Schaden in der hoch technisierten Zentrale, von der aus die bis zu 800 Kilometer entfernten, tief in der Wüste liegenden Brunnen gesteuert werden, ist unklar.

Seitdem jagt eine Konferenz des provisorischen Stadtrates von Tripolis die andere. Der Präsident des nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, rief in einem dramatischen Appell die internationale Gemeinschaft auf, bei der Versorgung der bedrängten Menschen in Tripolis zu helfen. Trinkwasserflaschen sind nirgends mehr zu bekommen, die wenigen alten Tankwagen können die Hunderttausenden von Familien nicht versorgen. Die meisten Geschäfte sind verriegelt. Auf dem Markt am Rande der Altstadt bietet ein einsamer Händler eine halb volle Kiste mit Gurken an, umringt von Frauen, die ihn wegen seiner Preise entsetzt anstarren.

Seit Freitag liegt Tripolis jede Nacht komplett im Dunkeln, selbst auf dem Schwarzmarkt gibt es kein Benzin für Privatautos mehr. „Wir hoffen, die Wasserversorgung in zwei Tagen wiederherzustellen“, sagt Mohammed Omeish, einer der fünf Koordinatoren der „Koalition des 17. Februar“, die den Aufstand in Tripolis organisiert haben. Doch das ist einfacher gesagt als getan. Nach seinen Worten wollen die Rebellen zunächst per Flugzeug Kämpfer nahe der angegriffenen Wasserzentrale absetzen, um die Gaddafi-Leute zu vertreiben und die Einrichtung zu sichern. Dann sollen Techniker versuchen, die lädierte Kontrollstation wieder in Gang zu setzen – doch das alles kann auch Wochen dauern mit dramatischen Konsequenzen. Denn Tripolis hängt mit seiner Trinkwasserversorgung nahezu komplett von dem „großen künstlichen Fluss“ ab.

Gleichzeitig ist den beiden Elektrizitätswerken der Stadt der Diesel ausgegangen. Zwar entlädt ein Schiff aus Qatar derzeit Treibstoff im 40 Kilometer entfernten Zawiyah. Von dort aber muss die rettende Ladung erst nach Tripolis transportiert und verteilt werden. Und so hofft Omeish, dass die Turbinen nach dem Wochenende wieder laufen. Denn ohne Wasser und Strom können auch die Krankenhäuser mit den Tausenden von Verletzten bald nicht mehr arbeiten. „Die Hospitäler haben Notstromaggregate, aber wir wissen nicht genau, wie lange ihre Reserven an Diesel reichen“, erläutert der in den USA ausgebildete Verwaltungsfachmann. Und ohne Wasser bricht jede Hygiene schnell zusammen. Schon jetzt fehlt es an Wasser, um die Blutlachen auf den Fluren und in den Operationssälen aufzuwischen.

Die meisten Bewohner von Tripolis bleiben derweil in ihren vier Wänden und warten ab. Das Ehepaar Anastassiou wohnt im ersten Stock der Hawaii-Straße gegenüber der großen Nasser-Moschee im Herzen von Tripolis. Das Haus stammt noch aus der italienischen Kolonialzeit, von ihrem geräumigen Balkon hat man einen guten Überblick. Noch vor vier Tagen saß auf dem Dach des gegenüberliegenden Geschäftshauses ein Scharfschütze, jetzt haben die Rebellen die schmalen Straßen fest im Griff. In dem Schulgebäude an der Ecke mit seinen vergitterten Fenstern haben sie ein provisorisches Gefängnis eingerichtet, wo sie gefangene Söldner aus dem Tschad, Sudan und Mali festhalten. Sieben Tage lang haben Dimitrios Anastassiou und seine Frau keinen Schritt mehr vor die Tür gemacht. Auch bei ihnen gibt es weder Strom noch Wasser, der Kühlschrank allerdings ist noch gut gefüllt. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten ist das Paar mit griechischen Wurzeln diese Woche nicht zum Gottesdienst in die nahe orthodoxe Kirche gegangen. „Wir haben unseren Pfarrer angerufen und uns entschuldigt. Wir haben einfach noch zu viel Angst.“

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