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Schon der große Brehm zog über den Maulwurf her, nannte ihn im Verhältnis zu seiner Größe ein „wahrhaft furchtbares Raubtier“.

© Thilo Rückeis

Gärtner gegen Maulwürfe: Krieg unterm Gartenzaun

Er ist der Held unzähliger Kinderbücher, Symbol des Guten, Ausdruck von Fleiß. Doch der Maulwurf untergräbt auch jede Ordnung, die der Traditionalist an seinem Rasen liebt. Pistolen, Böller, Haare, Mottenkugeln – die Wiese ist zur Kampfzone geworden.

Für Janosch ist er ein Weiser, sitzt unter der Erde und freut sich sehr, als die Fiedelgrille vorbeikommt. Weil die Grille den ganzen Sommer auf ihrer Geige spielte, vergaß sie, ein Nest für den Winter zu bauen. Er gewährt ihr Asyl, lauscht ihrer Musik, kocht Suppe mit ihr.

Für Luis Murschetz ist er ein Held, fleißig, wird vertrieben, muss sich eine neue Wiese suchen. Am Ende seiner Geschichte weiß jedes Kind, wie schön und wichtig die Natur ist. Und lernt: Nicht aufgeben, wie er, lohnt sich.

Für Zdenek Miler ist er frech und lieb zugleich, tut niemandem etwas zuleide, lacht viel, spielt und ist gut Freund mit allen anderen Tieren im Wald. Arbeiten kann er auch, deshalb trägt er ja Spaten.

Alle diese begnadeten Kinderbuchzeichner haben Talpa europaea, den Mull, auch Maulwurf genannt, zu dem gemacht, was er jenseits der deutschen Gärten und Wiesen sein darf: Symbol des Guten, Ausdruck von Fleiß und bekannt in aller Welt – als Zeichentrickfigur oder Kuscheltier mit harter Bartborste.

Im wahren Leben tobt der Krieg

Doch im wahren Leben herrschen ganz andere Sitten und Gebräuche. Da tobt der Maulwurfskrieg. Draußen auf den Sport- und Golfplätzen sowieso, wenn plötzlich Hügel entstehen, wo gerade noch der grüne Rasen unschuldig auf seine Betreter wartete; vor allem tobt der Kampf im traditionellen Kleingarten mit seinem häufig raspelkurz und glatt rasiertem Grün.

Sven Wachtmann kennt diese merkwürdigen Widersprüche im Verhalten des Menschen zum Maulwurf nur zu gut. Der Gartenexperte schmunzelt erst einmal und sagt dann, „na ja Krieg ist bestimmt die falsche Metapher“. Aber auch er hat sich schon dabei erwischt, wie genervt er war und müde, wenn er dieses dickköpfige Tierchen mal wieder jagen musste. Der Zeitaufwand für die Pflege seiner Vorzeigegärten, die er für potenzielle Kunden anlegt, ist nämlich immens. Wachtmann, groß und schlank, mit muskulösen Armen und einem friedvollen Lächeln im Gesicht, sieht wirklich nicht aus wie ein Jäger. Der Mann ist Pazifist, studierter Landschaftsgärtner und mag Wildblumenwiesen.

Für die meisten seiner Kunden bleibt der Maulwurf aber ein Störenfried. Schon der große Brehm hat über ihn hergezogen und geschrieben, er sei im Verhältnis zu seiner Größe „ein wahrhaft furchtbares Raubtier“. Ist der schöne Schein der Märchenwelten also nur ein Ablenkungsmanöver, damit der Mensch, der Erwachsene, ihn sich in Ruhe vornehmen kann?

Der Maulwurf nun einmal untergräbt genau jene Ordnung, die der deutsche Hobbygärtner so liebt. Er ist ein nahezu unsichtbarer Feind, kaum mehr als 16 Zentimeter lang, halslos und von walzenförmiger Statur. Und er schimmert: schwarz! Seine Hände sind Schaufeln, seine Schnauze ist lang und wie ein spitzer Kegel gebaut. So arbeitet er sich unermüdlich durch die Erde, mal rechts, mal links, unkontrollierbar.

Die Gärtner fragen nach den besten Tipps - auch mal am Gesetz vorbei

Katze schnuppert an einem Maulwurf
Bloß nicht bewegen. Nicht nur Kinder lieben den Maulwurf - auch Katzen spielen gerne mit ihm. Was dem Mull in der Regel nicht gut bekommt.

© Thilo Rückeis

Das bringt die Gärtner in Wallung, dann rüstet der Mensch auf. Kennen wir von Wilhelm Busch, der das Tier, anders als die Zeichner vom Maulwurf Grabowski, dem Kleinen Maulwurf oder auch dem, der herausfinden will, wer ihm auf den Kopf gemacht hat, gar nicht sympathisch findet. Buschs Gärtner Knoll führt einen epischen Kampf – und gewinnt:

Doch Knoll, der sich emporgerafft,

Beraubt ihn seiner Lebenskraft.

Da liegt der schwarze Bösewicht.

Und wühlte gern und kann doch nicht;

Denn hinderlich, wie überall,

Ist hier der eigne Todesfall.

Gartenexperte Sven Wachtmann sitzt jottweedee vom Berliner Stadtzentrum mitten auf einem Fleckchen Erde, das idyllischer nicht anmuten könnte. Märchenhaft geradezu, so wie in den Filmen vom Kleinen Maulwurf „Kretek“, wie er im Original hieß. Hier in Münchehofe, Ortsteil von Berlin-Hoppegarten, ist die Natur noch schwer in Ordnung. Das Holzhaus, in dem Wachtmann wohnt und arbeitet, ist eine Art Würfel auf einem 3500 Quadratmeter großen Grundstück, darauf ein kleiner See, ringsherum eine riesige Wiese und unterschiedliche Beete, Gewächshäuser, Bäume. Dahinter, auf einer Weide, grasen die Pferde des Nachbarn.

Ach ja, und der Maulwurf ist auch da.

Der Maulwurf ist gesetzlich geschützt

Eigentlich bietet Sven Wachtmann mit seinem Partner einen kompletten Gartenservice an, und er ist ehrenamtlich engagiert beim Landesverband der Gartenfreunde. Als Kenner der Szene wird er immer wieder und immer öfter gefragt, wie man den Mull denn loswerden könne. Auch mal am Gesetz vorbei.

Wachtmann kann es zwar nicht mit Zahlen belegen, aber er glaubt, dass der Maulwurf in Berlin-Brandenburg immer zahlreicher gräbt und er wiederum deshalb auch zunehmend auf Menschen trifft, die das gar nicht gut finden. Allerdings ist der Maulwurf gesetzlich geschützt, anders als die Wühlmaus, darf man ihn nicht töten, nur verjagen – aber wer hält sich schon daran? Sven Wachtmann versucht, den Verzweifelten immer ins Gewissen zu reden, und empfiehlt: „Akzeptiert ihn!“

Als Sven Wachtmann ein kleiner Junge war, hatten seine Eltern einen Kleingarten im Kaulsdorfer Busch. Daher seine Liebe zur Natur. Hat man ihm dort eingepflanzt, ganz natürlich, ist geblieben bis heute. Hat er zu seinem Beruf gemacht. Auch der Vater jagte zuweilen Maulwürfe. Eines Tages war er endlich einmal schneller, stieß den Spaten im richtigen Moment in die Erde, hob ihn hoch, der Maulwurf wirbelte durch die Luft, und als er unten ankam – schlug der Vater zu.

Wachtmann kennt unzählige Versuche von Gärtnern, den Maulwurf zu entsorgen. Eine Frau wollte ihn unbedingt ertränken, was nicht gelang, weil das Wasser nun mal in der Erde versickert. Ein anderer Gärtner beschloss, eine Pistole so umzubauen, dass er ins Loch des Maulwurfs schießen konnte. Manche nehmen Eisenzangen, die zum Fangen der Wühlmaus gedacht sind, und töten damit den Maulwurf, weil die Schnappfalle sein Genick durchbohrt.

In einer ARD-Reportage sieht man Hobbygärtner, wie sie mit Riesenböllern den Maulwurf vertreiben wollen, andere stecken mit Petroleum getränkte Tücher in die Löcher, in der Hoffnung, der Geruch würde ihn verjagen. Auch Buttersäure, toter Fisch oder Karbid wird empfohlen, Karbid, weil es in der Erdfeuchtigkeit Gase bildet, die wiederum dem Geruchssinn des Maulwurfs nicht gefallen. Wachtmann empfiehlt auch Karbid.

Die Auswahl an Kampfstoffen ist so lang wie die Maulwurfstunnel

Die Auswahl an Kampfstoffen ist so lang wie die Maulwurfstunnel: Holzpfähle in die Böden schlagen und klopfen oder stattdessen Flaschen halb einbuddeln, in denen dann der Wind Klänge erzeugt, weil der Maulwurf geräuschempfindlich ist; eine Brühe anrühren aus Zweigen vom Lebensbaum, Holunder und Knoblauch, dann in kleinen Mengen in die Gänge schütten; die scharfe Sorte Meerrettich mit Wasser mischen und in Gänge und Hügel schütten; Menschenhaare in Hügel und Gänge streuen; möglichst viele Mottenkugeln in seiner Nähe vergraben.

Was am besten hilft – das weiß niemand genau. Ausprobieren, heißt es, jeder Maulwurf sei, nun ja, anders. Wer aber einen Maulwurf tötet und erwischt wird, muss mit hohen Geldstrafen rechnen. Mindestens 1500 Euro.

Sven Wachtmann hat, wie einst sein Vater, auch einmal einen Mull gefangen. Mitten auf der Wiese neben einer Industrieanlage in Marienfelde, 12 Uhr mittags, Wachtmann nimmt den Spaten und hat Glück, plötzlich ist der Maulwurf da. Er kann ihm einen Eimer überstülpen, ganz in Ruhe sein Fell streicheln. Niemals hätte er ihn erschlagen können. „Er war wunderschön und fühlte sich so weich an.“ Dann trug er den Maulwurf über die Straße in den Park. Und ließ ihn frei.

Der Gartenexperte ist jetzt von seiner Terrasse aufgestanden, um zu seinen Hochbeeten zu gehen. Sie sind mit verzinktem Draht gesichert, und es gibt dort alles, was Mutter Natur zu bieten hat: Kartoffeln, Salat, Petersilie, Thymian, Rhabarber, Schnittlauch, Möhren. Nur der Maulwurf, könnte er Wachtmann verstehen, würde die gut hinter seinem Fell versteckten Augen verdrehen. Er ist totaler Gemüseverächter, frisst nur Fleisch. Am liebsten Regenwürmer, Maden, Engerlinge, Schnecken, Schnakenlarven.

Der Mull gräbt die oberen Schichten um, macht ihn locker, flockig

Zuwider sind dem Maulwurf auch jede Art von Wildblumenwiesen, weil sehr trocken, viel zu anstrengend, darunter zu graben, da gibt es auch kaum Regenwürmer zu fressen. Wer also Kamille pflanzt, Wilde Rucola, Malve, Kornblume und Rotklee, bleibt meist von Besuch verschont. Nur dass ein traditioneller Gärtner von diesem Wildwuchs genauso wenig hält wie ein Mull.

Eigentlich ist der Maulwurf aber ein ausgesprochener Nützling, weil er die Schädlinge verspeist. Sein großer, ja sogar riesengroßer Appetit, weil er so viel arbeitet, ist an sich ein Segen. Genau aus diesem Grund hat er sich an die Hochbeete von Wachtmann herangewühlt, denn erstens ist es daneben feucht vom Wässern, und wenn es feucht ist, dann gibt es, zweitens, lecker Futter für ihn. Sogar bis hinein ins Gewächshaus ist er gekrochen, wo Tomaten und Paprika wachsen, immer schön an der Drahtabsperrung entlang, 40 Zentimeter hinein. An sich frisst der Maulwurf nichts an, auch keine Wurzeln, aber er senkt die Böden ab, eingepflanzte Bäumchen verlieren ihren Halt, auch das Wasser versickert schneller, sodass in manchem Garten die Beete vertrocknen.

Wachtmann zeigt auf seine Terrasse seitlich des Hauses mit edlem Marmorsplit versehen. Wenn der Maulwurf darunter käme, wäre die Sache schon heikler, „der würde alles durchmischen“, und die schöne mediterrane Anmutung wäre dahin. Wirtschaftlicher Schaden in nennenswerter Größe entsteht vom Maulwurf nicht wirklich.

Alles eine Frage der Ästhetik.

Der Lärm der Walzen vertreibt ihn

Profis aus dem Kleingartenbereich, denen ein glatter Rasen das Schönste auf der Welt ist, besorgen sich Walzen, am besten Rüttelwalzen, mit denen verdichten sie dann den Rasen, sodass auch keine Regenwürmer mehr durchkommen. Hat der Maulwurf Pech gehabt, allein der Krach vertreibt ihn. Dafür bleibt der Boden, wie er ist. Keiner gräbt dann vor allem die oberen Schichten um, locker, flockig, einen halben Meter, was den Boden fruchtbar macht und wertvoll.

Warum kann nun der Mensch so schwer ertragen, dass der Maulwurf bei ihm wohnt, wenn er doch auch Gutes schafft und ihn seine Kinder lieben?

Anruf in Baunatal beim größten Maulwurfexperten Deutschlands. Günter R. Witte, emeritierter Professor, 81 Jahre alt, hat das Standardwerk zum Maulwurf geschrieben. 20 Jahre Forschung sind in die 200-seitige Monografie geflossen. Witte hat eine Antwort auf die merkwürdige Helden-Feind-Diskrepanz. Er sagt: „Verlangen Sie nicht von erwachsenen Menschen die Weisheit eines Kindes.“

Witte hat im Laufe der Zeit seinen Maulwurf lieben gelernt. Man müsse sich eben beschäftigen mit den Tieren, wie überhaupt mit allen Dingen des Lebens, und dann würde man das Wunder der einzelnen Kreaturen schon entdecken. In Dänemark haben sie aus seiner Forschung ein tolles Kinderbuch gemacht mit Zeichnungen und Bildern, eine Mischung aus Lern- und Anschauungsbuch. Offensichtlich, findet Witte, habe der dänische Erwachsene dann doch ein wenig mehr Fantasie als womöglich der deutsche. In Deutschland wollte der Verlag ein reines Sachbuch, schön wissenschaftlich, aber Witte, der selbst zwei Kinder hat und lange Lehrer war, hat seine Meinung trotzdem hineingeschrieben. Was hält er also von denen, die den Maulwurf als Störenfried betrachten? Nichts natürlich!

Allerdings, das muss zur Ehrenrettung des deutschen Gärtners erwähnt werden, „es hat sich sehr viel geändert, der glatte Zierrasen ist nicht mehr das Nonplusultra“. Das sagt Lutz Wachtmann, und er muss es als Landesgartenfachberater für Kleingärtner, Siedler und Eigenheimbesitzer wissen. In blühenden Zeiten von Urban Gardening und wachsendem ökologischen Verständnis bemerkt er bei seiner Kundschaft immer mehr „Mut zum Experimentellen“. Es wird ausprobiert, was Spaß macht und wild aussieht.

Den Maulwurf stört das nicht. Er ist einfach da. Diente ja schon verschiedenen Philosophen sogar als Objekt. Aber lassen wir Nietzsche mal beiseite – und formulieren, frei nach dem Mull, die Sache so: Wer die Ordnung untergräbt, den kann immer noch die Moral retten.

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