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Politik: Ganz normal etabliert

Bei der Europawahl wollen die Grünen mit bekannten Gesichtern antreten

Von Sabine Beikler

Dortmunder Westfalenhallen, Halle 5. Die Grünen verabschieden auf ihrem Bundesparteitag den Wahlkampfslogan „Alle reden von Deutschland – wir reden vom Wetter.“ Doch das Motto geht nach hinten los, es beschert der Partei eine der größten Niederlagen ihrer Geschichte: Die West-Grünen fliegen mit einem Wahlergebnis von 3,8 Prozent in hohem Bogen aus dem Bundestag. Das war 1990.

19 Jahre später treffen sich die Grünen wieder in Dortmund in der Halle 5 zum Wahlparteitag. Dieses Mal geht es um das Europaprogramm und die Aufstellung der Europawahlliste. Am Sonnabend, am zweiten Tag der drei Tage dauernden Versammlung, sind die 750 Delegierten nach stundenlangen Diskussionen um die Kernpunkte des Wahlprogramms schon ein wenig mürbe und warten am Nachmittag nur noch auf den Beginn der Wahl der Kandidaten für die Europawahlliste. Die aussichtsreichen Plätze sind hart umkämpft: Vor fünf Jahren zogen 13 deutsche Grünen-Abgeordnete nach einem Traumwahlergebnis von 11,9 Prozent in das EU-Parlament.

Unangefochten und ohne Gegenkandidaten nominieren die Grünen Rebecca Harms, stellvertretende Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, mit 80,4 Prozent auf Platz eins. Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer wird mit 81,7 Prozent auf Platz zwei gewählt. Auf Platz drei kann sich Heide Rühle gegen Barbara Lochbihler und Ex-Parteichefin Angelika Beer durchsetzen. Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International und Grünen-Mitglied seit einem guten halben Jahr, wird auf Platz fünf nominiert.

Listenplatz vier erlangt Sven Giegold. Der frühere Mitbegründer von Attac ist erst seit ein paar Monaten Grünen-Mitglied. EU-Verkehrspolitiker Michael Cramer aus Berlin setzt sich im Kampf um Platz sechs gegen drei Gegenkandidaten durch. Auch die Folgeplätze sind hart umkämpft: Die 27-jährige Brandenburger Grünen-Landeschefin Ska Keller wird bei fünf Konkurrentinnen auf Platz sieben nominiert. Am späten Samstagabend schafft Werner Schulz sein politisches Comeback, der sich mit einer mitreißenden Rede im Kampf um den achten Platz gegen sieben Konkurrenten durchsetzt. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler war bis 2005 Bundestagsabgeordneter und seitdem nicht mehr politisch aktiv.

Für Schulz hatten die parteiinternen Reformer noch am Freitagabend intern geworben. 20 Jahre nach dem Mauerfall ist er ein prominenter Kandidat auf der Europaliste mit „Ost-Bonus“ und einer der wenigen, die noch für den Namenszusatz „Bündnis 90“ stehen (das 1990 den Einzug in den Bundestag schaffte) – ein wichtiges Signal nach außen.

Die Grünen sind zwar etabliert, doch demonstrieren sie wieder verstärkt ihr Interesse für Prominente mit grünem Renommee. Mit Giegold und Lochbihler hat die Partei ihre Offenheit zu den außerparlamentarischen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen gezeigt und wirbt um Wählerstimmen in jenen Kreisen, die sich von den Grünen unter der rot-grünen Regierungspolitik abgewendet haben. Lochbihler repräsentiert das vor allem bei den Grünen wichtige Thema Menschenrechte, und Wirtschaftswissenschaftler Giegold gilt als Spezialist für Steuer- und Finanzpolitik. Er war maßgeblich an der Erarbeitung der Leitlinie „Green New Deal“ beteiligt. Grüne Politiker geben auch offen zu, dass es leichter fällt, in der Opposition um bekannte Persönlichkeiten und Zugpferde zu werben. „Im Idealfall“, sagt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, „kommt jemand wie Giegold oder Lochbihler auch dann, wenn wir mitregieren. Aber die Welt ist eben nicht ideal.“

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