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Gestörtes Verhältnis. Neben den blutigen Auseinandersetzungen in der Ukraine belastet auch der Streit ums Gas die Beziehungen zu Russland.

© dpa

Gaskrise: Ukraine und Russland: Gemeinsam gegeneinander

Sowohl bei Gaslieferungen als auch im Rüstungssektor sind Russland und die Ukraine voneinander abhängig. Wie wirkt sich die weiter andauernde Krise auf die beiden Länder aus?

Immer noch bleiben die Heizungen der meisten Menschen in der Ukraine kalt. Präsident Petro Poroschenko hat das Gas-Thema kurz vor den Parlamentswahlen am Sonntag nun zur Chefsache erklärt. Am Montagabend zeigten die Nachrichtensender Bilder, auf denen der Präsident den Minister für Infrastruktur, Wladimir Groismann, einbestellt und ihm die Order gibt, die Heizsaison zu starten. Eigentlich geschieht das in der Ukraine automatisch. Wenn im Oktober die Temperaturen für mehr als drei Tage hintereinander eine bestimmte Zahl unterschreiten, werden Millionen Haushalte und fast alle öffentlichen Gebäude durch ein zentrales Heizsystem mit Wärme versorgt.

Die politische Führung der Ukraine führt mit Vertretern aus Russland und der EU seit Monaten Gespräche darüber, wie der von Russland verhängte Erdgas-Lieferstopp beendet werden und wie die Ukraine die Schulden in Milliardenhöhe für nicht gezahlte Rechnungen begleichen kann. Am Dienstag verhandelten in Brüssel erneut der ukrainische Energieminister Juri Prodan und sein russischer Kollege Alexander Nowak stundenlang. Am Abend sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger, die Gespräche hätten „wichtige Fortschritte“ gebracht, die zu einer Einigung bei einem erneuten Treffen am Mittwoch kommender Woche führen könnten. Es gebe damit eine „gewisse Perspektive für Versorgungssicherheit im Winter für alle europäischen Bürger“. Der Ukraine fehlt vor allem das Geld, um das Gas aus Russland bezahlen zu können – nun sollen bis nächste Woche 1,6 Milliarden Dollar gefunden werden, eventuell aus der EU. Russland beharrt für künftige Lieferungen auf Vorkasse.

Klar ist in der Ukraine indes, dass die Menschen sich auf kalte oder lauwarme Stuben einstellen müssen. Schon vor Wochen haben Regierungsstellen bekannt gegeben, dass die Zimmertemperatur 18 Grad nicht übersteigen werde. Alle, die keine elektrischen oder anderen Zusatzheizungen haben, erwartet ein ungemütlicher Winter. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte am Dienstag bei einem Besuch in Lwiw: „Putin will, dass die Ukraine einfriert, wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten.“

Zu Sowjetzeiten wurden die beiden Wirtschaftssysteme verzahnt

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine bestehen jedoch längst nicht nur aus den Gaslieferungen. In der Sowjetära hat der Kreml die Volkswirtschaften der Unionsrepubliken so eng miteinander verzahnt, dass Sezessionsbestrebungen gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Selbstmord gewesen wären. Hochgradig arbeitsteilig war schon damals vor allem die Rüstungsindustrie. Die Endmontage des Kriegsgeräts fand meist in Russland und der Ukraine statt. Die daraus resultierenden Abhängigkeiten haben beide auch in den mehr als 20 Jahren Unabhängigkeit nicht überwunden. Der Anteil von Zulieferungen des jeweils anderen liegt noch immer bei knapp 70 Prozent. Die Sanktionen, mit denen Moskau und Kiew sich seit Beginn der Ukraine-Krise überziehen, treffen daher beide. Putins Propagandisten gehen allerdings davon aus, dass der konkrete Schaden für den kleineren ostslawischen Bruder erheblicher größer ausfällt. Womöglich zu Recht.

Die Ukraine müsse mit Verlusten von rund zehn Milliarden Dollar jährlich sowie mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und mit sozialen Spannungen rechnen, warnen russische Experten. Allein durch die Einstellung der Zusammenarbeit beim Bau der Interkontinentalraketen Topol-M und deren seegestützter Modifikation Bulawa würden in der Ukraine etwa 1000 Arbeitsplätze vernichtet. Das Konstruktionsbüro Juschnoje im ukrainischen Dnipropetrowsk würde dadurch Verluste von rund zwei Milliarden Dollar pro Jahr einfahren, schrieb das russische Massenblatt „Komsomolskaja Prawda“, als der ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Juni die militärtechnische Kooperation mit Russland kündigte.

Russland will Waffensysteme und Zulieferteile, die bisher aus der Ukraine kamen, künftig komplett in einheimischen Rüstungsschmieden herstellen lassen. Die Anlaufschwierigkeiten, tönte der für Rüstung zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin, würden minimal sein. Experten sind sich da nicht so sicher. Die Suche nach Alternativen für die Wartung der in der Ukraine gebauten Interkontinentalraketen und Schiffsmotoren werde viel Zeit und Geld kosten, glauben sie.

Unklar ist bisher auch, ob China die Lücke füllen kann, die der Wegfall von Waffenlieferungen in die Ukraine reißt. Zwar hat die Volksrepublik, ohnehin ein wichtiger Kunde, weiter lebhaftes Interesse an russischer Kriegstechnik bekundet, konkrete Bestellungen gibt es indes bisher nicht.

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