zum Hauptinhalt

Politik: Gastarbeiter die zweite?

Experten schlagen Migration auf Zeit vor. Das Konzept hat Grenzen – es könnte aber die Das-Boot-ist-voll-Politik ersetzen

Berlin - Der Sachverständigenrat für Migration und Integration (SVR) plädiert für Versuche mit Migration auf Zeit. Die sogenannte zirkuläre Migration – Zuwanderer pendeln zwischen Heimat und Zielland – existiert zwar de facto schon lange, für Erntearbeiter, private Haushaltshilfen und Altenpflegerinnen, auch für Sexarbeiterinnen. Die Experten des SVR empfehlen aber eine geplante und klaren Regeln folgende Zuwanderung, die auch helfen könnte, Illegalität zu reduzieren.

Die Fachleute sehen sie zudem als Chance, auf einem vergleichsweise kleinen Feld den Bruch mit der Einwanderungspolitik alten Stils hinzubekommen, weg von der Verhinderung, hin zum geregelten Ja: „Alle bisherige Migrationspolitik war darauf ausgerichtet, den Migrationsdruck auf die EU zu reduzieren“, sagte SVR-Mitglied Werner Faßmann, der auch Vorsitzender des österreichischen Integrationsbeirats ist. „Wir müssen zum Migrationsmanagement kommen.“ Zu verhindern sei Migration ohnehin nicht – und Europa brauche sie.

Den Einwand, der zirkuläre Migrant sei eine Neuauflage des „Gastarbeiters“, der später wieder gehen soll, aber dann doch bleibe, lassen die Experten nicht gelten: Zu Zeiten der Gastarbeiter-Anwerbung hätten Konzepte gefehlt – auch weil die deutsche Wirtschaft daran interessiert war, eingearbeitete Kräfte zu behalten: „Die Geschäftsgrundlage muss für alle klar sein, auch für die Arbeitgeber“, sagte die Göttinger Juristin Christine Langenfeld. Sie könnte nach dem Vorschlag der Sachverständigen lauten: Zwei Jahre Deutschland, danach Rückkehr mit der Möglichkeit, noch mehrmals und wieder für je zwei Jahre nach Deutschland zurückzukehren. Die rechtlichen Möglichkeiten, sagte Langenfeld, gebe es schon.

Als weitere Bedingungen, damit zirkuläre Migration ein Erfolg wird, nennen die Experten: Die Anwerbeländer müssten solche sein, in die sich Rückkehr lohnt: „Relative Korruptionsfreiheit, relative wirtschaftliche Dynamik“ sagte SVR-Forschungsdirektorin Gunilla Fincke. Die auf Zeit ausgewanderten Bürger müssten Grund haben, ihr Erspartes dorthin zu überweisen oder nach ihrer Rückkehr zu investieren. Zudem würde das Angebot auch keine Hochqualifizierten erreichen, denen ohnehin „die Welt offen steht“, so Faßmann. Aber es könne Krankenpflegepersonal oder Kraftfahrzeugmechaniker legal nach Deutschland bringen.

Was Programme zirkulärer Migration überhaupt erreichen können – da ist der SVR selbst nur verhalten optimistisch. Womöglich einiges für die Migranten und die Aufnahmeländer; für die Herkunftsländer ist der Gewinn „überschaubar“, wie Faßmann zugab. Würden 27 000 Vietnamesen jetzt nach Europa ziehen und in zwölf Jahren fast alle zurückkehren – so ein Szenario – dann hätten sie bis 2030 Vietnams Produktivität um gerade 0,05 Prozent gesteigert und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 1,1 Prozent. Die Armut im Land wäre um 2,6 Prozent geringer geworden.

Die Deutschen hält man jedenfalls längst für bereit zu einem pragmatischen Umgang mit Einwanderung – das ergab vor Monaten eine SVR-Umfrage, die Offenheit für Flüchtlinge und auch für weitere Arbeitsmigranten zutage förderte. Zeit also dafür, „weg von der Sicherheitspolitik“zu kommen (Bade). Der Rat ist selbst dabei: Seine Fachtagung zur zirkulären Migration veranstaltete er zusammen mit dem Entwicklungsministerium.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false