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Die Bewohner der Favela reagierten auf den Staatsbesuch gewohnt gelassen.

© dpa

Gauck-Besuch in Brasilien: Favela in deutscher Hand

Drei Tage ist Joachim Gauck in Brasilien unterwegs. Philipp Lichterbeck begleitet den Bundespräsidenten, der neben der Copacabana auch das Elendsviertel Santa Marta besucht - und durchgängig den Ton trifft.

Zunächst erscheint der Tross aus Diplomaten, Journalisten und Sicherheitsleuten. Rund 120 Damen und Herren in dunklen Anzügen und mit umgehängten Ausweiskärtchen schreiten eine holprige Straße aus Kopfsteinpflaster hinauf, neugierig beäugt von Menschen in kurzen Hosen, bunten T-Shirts und Flipflops. Es ist das Zusammentreffen zweier Welten. Einer aus dem Trupp scherzt: „Hier kommen die Aliens.“ Ein bisschen wirkt es tatsächlich so. Ein Mann, der auf einem Grill am Straßenrand Fleischspieße wendet, fragt: „Ihr seid wegen dieses Typen aus Holland da, oder?“

Besuch von Joachim Gauck in der Favela Santa Marta in Rio de Janeiro. Der Bundespräsident ist seit drei Tagen in Brasilien und trifft durchgängig den Ton. In Sao Paulo nahm er seine Amtskollegin Dilma Rousseff charmant für sich ein, obwohl sie auf Deutschland extrem schlecht zu sprechen ist, seit Angela Merkel ihr wegen Kritik an der deutschen Finanzpolitik die kalte Schulter zeigt. In Rio hat Gauck sich dann am Mittag mit den Mitgliedern der Wahrheitskommission getroffen, die die Verbrechen während der brasilianischen Militärdiktatur aufarbeitet. Die zeigten sich beeindruckt von der Erfahrung des ehemaligen Stasiakten-Beauftragten und baten ihn prompt um Mithilfe.

Der Präsident ist sichtlich locker, am Abend zuvor hat er mit einem Dutzend Journalisten im Copacabana-Palace gescherzt und zwei Caipirinha getrunken. Nun trifft er auf die Vorzeigefavela Brasiliens. Santa Marta wurde 2008 von der damals neuen Friedenspolizei UPP besetzt, die seitdem dafür sorgt, dass hier keine Schießereien mehr zwischen den Drogengangs stattfinden. Außerdem hat man zahlreichen der kleinen, einst unverputzten Häuser einen bunten Anstrich verpasst. Sie wachsen pittoresk einen steilen Hang empor. In der Favela wohnen heute Lehrerinnen der deutschen Schule, deutsche Aussteiger und Urlauber. Zum höchsten Punkt von Santa Marta hat die Stadt eine Zahnradbahn bauen lassen.

Der Bundespräsident einmal ganz wie ein Tourist - mit Sonnenbrille.
Der Bundespräsident einmal ganz wie ein Tourist - mit Sonnenbrille.

© dpa

Weil die Favela also als sicher und nicht ganz so hässlich gilt, ist Joachim Gauck auch nicht der erste Würdenträger, der sie besichtigt. Sein schwarzer Audi mit dem Bundesadler schiebt sich langsam den Weg entlang und macht vor der kleinen Halle der Sambaschule Halt, wo die Kameramänner einen Pulk bilden. Der Präsident steigt aus, winkt und bahnt sich zielstrebig den Weg zu einem verdutzten Favelabewohner. Kräftiges Händeschütteln, wobei nicht richtig auszumachen ist, was die beiden miteinander zu besprechen haben. Ja, ob sie überhaupt eine gemeinsame Sprache finden.

Gauck, weißes Hemd, graues Sakko, keine Krawatte, wird gleich noch ein Kind auf dem Arm halten und mit der Besitzerin der Bar da Dona Rita plauschen. Der Kontakt mit der Bevölkerung scheint ihm Spaß zu machen, auch wenn er jetzt wirkt wie einer der hiesigen Politiker, die sich nur zu Wahlen in den Favelas blicken lassen. Auf einem kleinen Platz, um den herum die Häuser frisch gestrichen wurden, lässt Gauck sich dann von Rios Sicherheitsminister erklären, wie der Staat die Favelas erobert, während schwarz uniformierte Militärpolizisten wachen.

Ein kleines Jugendorchester gibt es in der Favela Dona Marta, das mit einer Instrumentenspende des deutschen Konsulats gegründet wurde. Für Gauck spielt es ein zartes Medley aus Beethoven und Nationalhymne. Der Bundespräsident sitzt lange lächelnd vor den Musikern und scheint froh zu sein, einmal nichts sagen zu müssen. Anschließend überreicht er 1000 Euro: „Ich habe hier ein Stück Papier, das geldwert ist.“ Auch den Nikolaus kann er.

Vor der Sambaschule reckt die deutsche Presse Gauck schon die Mikrofone hin, während die brasilianischen Kollegen sich eher für den Sicherheitsminister interessieren. Gauck sagt, dass die Favela früher ein „Ort des Schreckens“ gewesen sei, was nun wirklich eine Übertreibung ist. Als sein Wagen die Straße wieder hinuntergerollt und der Präsidententross verschwunden ist, sitzen vor der Bar da Dona Rita ein paar Frauen beim Bier. Sie sagen: „Ja, wir kennen das schon. Mal sehen, wer morgen kommt.“

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