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Gauck in Polen: Herzenssachen unter Freiheitsfreunden

Seine ostdeutsche Herkunft ist beim Polenbesuch der Trumpf von Bundespräsident Gauck.

Die Freude ist ihm anzusehen. Locker steht Joachim Gauck am Rednerpult im Warschauer Präsidentenpalast und strahlt. Dann sagt er: „Diese Reise ist kein politisches Kalkül, Polen ist die Wahl meines Herzens.“ Schon seine beiden Vorgänger Horst Köhler und Christian Wulff hatten ihre ersten Schritte ins Ausland nicht nach Paris, sondern nach Warschau gelenkt. Polen sollte damit aufgewertet werden. Beides waren freundschaftliche, aber steife Arbeitsbesuche. Gauck allerdings ist sichtlich angetan und berührt.

Bei Zanderfilet und Entenbrust haben die beiden am späten Montagabend im polnischen Präsidentenpalast mitten in der Warschauer Altstadt so einiges ausgeheckt, wie sie am Morgen darauf vor der Presse erzählen. Die alte deutsch-polnische Roadmap intensiver Beziehungen soll dabei um ein paar Punkte bereichert werden. Zusammen wollen die beiden bald mit Studierenden der deutsch-polnischen Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) und Slubice diskutieren. „Auch an ein Rockkonzert haben wir gedacht, um vor allem die Jugendlichen noch näher zusammenzuführen“, sagt Gauck und scherzt über sein fortgeschrittenes Alter.

Die Rolle, Gauck auf sein Lieblingsthema „Freiheit“ zu bringen, hat der polnische Gastgeber Komorowski übernommen. Erst vor gut drei Wochen sprach Gauck, damals noch als einfacher deutscher Bürger, an der Universität Lodz über Freiheit und Verantwortung. Nun flicht der Pole dem ehemaligen Pastor einen Kranz. „Wir beide haben eine Zeit ohne Freiheit erlebt, eine Zeit, in der wir uns diese Freiheit erkämpfen mussten“, sagt Komorowski und zeigt damit, warum es ostdeutsche Politiker – auch Angela Merkel – in Polen leichter haben als ihre westdeutschen Vorgänger. Der gemeinsame Erfahrungsschatz der realsozialistischen Diktatur schafft Nähe trotz aller Unterschiede. Gauck nimmt den Faden auf: „Für mich ist Polen das Musterland der Freiheit.“ Die Beziehungen Deutschlands und Polens seien schwierig gewesen, und er sei sich der Schuld durchaus bewusst. Doch heute seien sich beide Völker mit ihrer Erfahrung des Kampfes für die Demokratie nah. Herzensentscheidung oder Kalkül – Gauck tritt in Warschau in erster Linie als Ostdeutscher auf.

Nach Komorowski traf Gauck auch kurz mit Regierungschef Donald Tusk zusammen. Im Anschluss legte er vor zwei Gedenktafeln im Sejm, dem polnischen Parlament, Blumen nieder. Gauck gedachte damit der in der nationalsozialistischen Besatzungszeit getöteten Parlamentarier sowie der Opfer der im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarten sowjetischen Besatzung Ostpolens. Es war dies der einzige Punkt seines Antrittsbesuchs, der auf die schwierige historische Beziehung der beiden Länder verwies.

Das Wort „Vertriebene“ kam Gauck übrigens öffentlich nie über die Lippen. Einzig in einem am Montag publizierten Interview mit der „Gazeta Wyborcza“ sagte der deutsche Bundespräsident: „Entschädigungsforderungen stellt doch nur ein kleiner Kreis von Leuten, die meisten Deutschen interessiert dies nicht.“

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