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Die Zeit und ihre Veränderungen anhalten wollen. Charlie Chaplin in "Modern Times".

© imago stock&people

Gauland-Beitrag zum Populismus: Die globale Klasse – wie gut, dass es sie gibt

Trump und Spahn kritisieren "globalists" und "elitäre Hipster". Gauland verknüpft die Globalisierung mit Untergangsvisionen. Das ist zu einfach. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Vor 200 Jahren wüteten Maschinenstürmer. Sie protestierten gegen die Mechanisierung der Arbeitswelt, gegen die Ersetzung von qualifizierten Arbeitern durch Ungelernte, sie zerstörten Maschinen und neu errichtete Fabriken. Die Welle der Zornesausbrüche begann in England und griff bald auf Deutschland, Österreich und die Schweiz über. Karl Marx und Friedrich Engels hielten das für dumme Technikfeindlichkeit. Historiker resümieren: Die durch die Angst vor dem technischen Fortschritt verursachten Destruktivkräfte verzögerten die Industrialisierung und erschwerten die Bekämpfung des Elends.

Vor 80 Jahren erschien Charlie Chaplins Film „Moderne Zeiten“. Charlie, der Tramp, steht am Fließband und muss Schrauben drehen. Er kommt nicht hinterher, fällt auf das Fließband, gerät in den Apparat, wird durch Zahnräder gedreht – und am Ende verrückt. Die neue Arbeitswelt, monoton und seelenlos, überfordert ihn. „Moderne Zeiten“ galt als subversiv, das FBI verfolgte Chaplin wegen antiamerikanischer Tätigkeiten. Es ist ein genialer Film. Den technischen Fortschritt hat er nicht verhindert.

Vor 18 Jahren erschien in der Zeitschrift „Merkur“ ein Aufsatz des Soziologen Ralf Dahrendorf mit dem Titel: „Die globale Klasse und die neue Ungleichheit“. Wieder ändert sich vieles schnell und dramatisch. Was einst die Automatisierung war, ist nun die Digitalisierung. Die Profiteure dieser Revolution sind jung, gebildet, kosmopolitisch, digital versiert, kulturell liberal, sie leben in Großstädten, sprechen fließend Englisch.

„Disruptive innovation“ lautet der magische Begriff im Silicon Valley. Im Eingangsbereich der Zentrale von Facebook steht der Slogan „Move fast and break things“. Big Data hält Einzug bei Ebay und Amazon, im Gesundheitswesen, bei der Kriminalitätsbekämpfung. Der Börsenwert von Paypal ist bereits höher als der von Commerzbank und Deutscher Bank zusammen. Und kein Land, das nicht Milliardensummen in Cyberwar-Kapazitäten steckt, in Robotik und Künstliche Intelligenz investiert.

Die Sehnsucht nach der guten alten Zeit

Revolutionen verändern die Verhältnisse. Das ist weder neu noch überraschend. Deshalb werden alle Revolutionen begleitet von einem Aufbäumen gegen sie, von einer Sehnsucht nach der guten, alten Zeit. Die mag zwar unwiederbringlich vorbei sein, aber das zu akzeptieren, fällt den Sehnsüchtigen schwer. Was bei Dahrendorf noch streng analytisch „globale Klasse“ heißt, entwickelt sich bei Donald Trump mit verächtlichem Unterton zu den „globalists“, bei Jens Spahn zu „elitären Hipstern“, die eine „völlig neue Form der Parallelgesellschaft bilden“, bei Alexander Gauland zu einer „neuen urbanen Elite“, die sich als „Weltbürger“ fühlt.

Ja, es gibt eine globale Klasse, die allerdings nicht ganz neu ist. Was aber nährt die Wut auf sie? Die Ausbreitung des Englischen als Lingua franca verheißt eine transnationale Verständigung. Die Kenntnis der digitalen Welt ist zum A und O unserer Zeit geworden, zum Alpha und Omega, zu Schlüsseln des Universums. Dass Reisen nicht nur bildet, sondern auch die Toleranz gegenüber anderen Kulturen vergrößern kann, sollte unstrittig sein. Und hinter die von der globalen Klasse oft vertretenen kulturellen Werte wie Ökologie, Antirassismus, Antisexismus, Liberalismus und Empathie sollte doch keiner mehr zurückwollen.

Ein weiterer Vorwurf: Die globale Klasse verschließe ihre Augen vor einer durch Masseneinwanderung rau gewordenen sozialen Wirklichkeit. Das Gefühl für Heimat drohe zu verschwinden. Wahr ist: Zu viele Probleme bleiben derzeit ungelöst. Wie aber sähe es um das Heimatgefühl aus, wenn in naher Zukunft das Pflege- und Gesundheitswesen, Bau und Handwerk in Deutschland kollabierten? Das wäre ohne Einwanderung aus Staaten auch außerhalb der EU garantiert.

Globalisierung – wer an dieses Wort nur Untergangsvisionen knüpft, hätte vor 200 Jahren wohl mechanische Webstühle zertrümmert.

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