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Gebetsraum-Urteil: Welchen Platz soll Religion in der Schule haben?

Yunus M. darf nicht in der Schule beten. Aber für Gebete generell soll trotzdem Raum bleiben.

Yunus M. erzählt es am Mittwoch noch einmal, als sich die Richter in Leipzig zur Beratung zurückgezogen haben: In der Nähe eines Toilettenzugangs im Weddinger Diesterweg-Gymnasium habe es eine ruhige Ecke gegeben, dorthin habe er sich zurückgezogen und mit Freunden nach islamischem Ritus gebetet. Das war im November vor vier Jahren. Tags darauf habe Direktorin Brigitte Burchardt den Jungen zur Rede gestellt und ihm das Beten untersagt. Seine Eltern bekamen einen entsprechenden Brief. Nach Medienberichten soll der Vater zum Islam konvertiert sein. Man darf davon ausgehen, dass die Eltern ihren Sohn unterstützt haben – mindestens.Geklagt hat aber immer nur Yunus. Mit der Presse wollten die Eltern nie reden. Zum Teil wurde auch gemutmaßt, hinter der Klage stecke eine politisch-islamistische Initiative. Dies hat sich bisher nicht bestätigt.

Wie präsentiert sich Yunus vor Gericht? Selbstbewusst, aber bescheiden. Der Schüler ist heute volljährig und besucht die zwölfte Klasse. Den Streit hatte er als Teenager begonnen. Auch wenn sein Anwalt Bülent Yasar für ihn sprach, hat sich Yunus das Wort nie nehmen lassen. In allen Instanzen äußerte er sich vor Gericht und gegenüber der Presse. Er wolle nur möglichst ungestört beten, sagt er. Konflikte darum habe es mit seinen Mitschülern nicht gegeben.

Wie verlief der Konflikt bisher?

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im Eilverfahren angeordnet, dass der Schüler sein Gebet nach islamischem Ritus auch auf dem Schulgelände verrichten dürfe. Dies gewähre ihm seine Glaubensfreiheit. Soweit sich daraus Konflikte ergäben, könne die Schule Vorkehrungen treffen, etwa, indem Yunus ein Raum zugewiesen wird, um darin zu beten. In seinem späteren Urteil hat es diese Sichtweise bestätigt. In der mündlichen Verhandlung hatte ein Experte für islamisches Recht dargelegt, in welchem Maß Muslime an ihre Gebetspflicht nach dem Koran gebunden seien. Yunus betet täglich fünfmal, das Mittagsgebet kann er in den Wintermonaten aber pünktlich nur dann verrichten, wenn er es auf dem Schulgelände während einer Pause macht.

Den Anspruch auf einen Gebetsraum gab es trotzdem nie. Das Verwaltungsgericht hatte betont, Yunus habe nur ein Recht, in den Pausen auf dem Schulgelände zu beten. Mehr nicht. Der Hinweis des Gerichts auf einen möglichen Gebetsraum wurde in der Öffentlichkeit aber vielfach so interpretiert, als müsste muslimischen Schülern ein Gebetsraum zur Verfügung gestellt werden. Tatsächlich bekam Yunus Gelegenheit, sich in einen Computerraum zurückzuziehen. Nach Angaben der Schulverwaltung hat Yunus davon nur manchmal Gebrauch gemacht.

Das Berlin-Brandenburger Oberverwaltungsgericht (OVG) hob das Urteil der Vorinstanz auf. Das Gebet könne den Schulfrieden stören und andere Schüler beeinflussen. Am Diesterweg-Gymnasium gebe es Konflikte um religiös richtiges Verhalten, die durch die Präsenz von Betritualen verstärkt werden könnten. Es meinte, dass durchaus ein getrennter Raum als „flankierende Maßnahme“ notwendig sei, wenn man denn Gebete auf dem Schulgelände ermöglichen wolle. Anders seien andere vor Konflikten nicht zu schützen. Dies jedoch würde „die organisatorischen Möglichkeiten sprengen“. Auch sah es das OVG als Gefahr an, dass weitere Yunus’ Beispiel folgen könnten. Im Urteil hieß es noch, allein am Diesterweg-Gymnasium habe es fünf Gebetsraum-Anträge gegeben.

Wie begründen die Bundesrichter ihr Urteil?

Die Revision war formal erfolglos, aber die Richter schlagen einen anderen Ton an, als es das OVG getan hatte. Es legt Wert darauf, das Urteil bedeute nicht, „dass die Verrichtung eines Gebets in der Schule von der Schulverwaltung generell unterbunden werden kann“. Im Gegenteil sei ein Schüler aufgrund der Religionsfreiheit des Grundgesetzes berechtigt, in der Schule zu beten, „wenn dies einer Glaubensregel seiner Religion entspricht“. Bei Yunus sei es aber zu Streit gekommen, den die Schule nicht mehr habe hinnehmen können. Deshalb habe die Direktorin zum Verbot greifen dürfen. Yunus’ Anwalt wollte am Mittwoch nicht ausschließen, dass er das Bundesverfassungsgericht anrufen werde, es sei aber, so fügte er an, nicht sehr wahrscheinlich.

Was ist mit den Rechten anderer Schüler, von Religion frei zu bleiben?

Auch die sogenannte negative Religionsfreiheit ist ein Grundrecht. Eine Rolle hat es bei den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Kruzifix in Klassenräumen oder zum islamischen Kopftuch bei Lehrerinnen gespielt. Diese Fälle liegen jedoch anders. Hier konfrontiert ein Schüler seine Mitschüler mit seiner religiösen Überzeugung. Im Fall des Kruzifixes oder bei Lehrerinnen mit Kopftuch ist es der Staat. Die negative Religionsfreiheit sei ein Abwehrrecht gegen den Staat, sagte Richter Werner Neumann. „Die so- genannte negative Glaubensfreiheit von Mitschülern und Lehrkräften verpflichtet und berechtigt die Schulverwaltung nicht, sie vor einer Begegnung mit fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen gänzlich zu verschonen“, steht im Urteil.

Wie stehen die Richter zu den Vorschriften des Islam?

Anders als in den Vorinstanzen haben sich die Bundesrichter keine Gedanken gemacht, wie weit die muslimischen Betpflichten reichen. Für sie steht außer Frage, dass ein Muslim sich auf seine Religionsfreiheit berufen darf, wenn er beten will. Anders, als es die Schulverwaltung sieht, könne dafür auch das Schulgelände genutzt werden. Die Bildungsverwaltung hatte dagegen argumentiert, auf dem Schulgelände gelte der Schutzbereich des Grundrechts nicht, da Räume, Flure und Höfe nur dem Unterrichtsbetrieb gewidmet seien.

Was bedeuten die Grundsätze für weitere Verfahren und die Politik?

Die Richter scheinen sich zu wünschen, dass es keine weiteren Verfahren gibt. Sonst hätten sie wohl nicht so klar betont, wie es um die Rechte des Schülers steht. Die Bildungsverwaltung hatte versucht, ein Urteil zu erringen, das ihr Gebetsverbote mittels Verwaltungsdirektive ermöglicht. Dies ist nach dem Urteil nur im Einzelfall zulässig. Wünscht ein Kläger an einer Schule zu beten, an der es weniger religiöse Konflikte gibt als am Diesterweg-Gymnasium, so wäre die Direktion gehalten, es ihm zu ermöglichen. Wird dies verweigert, hätte eine Klage bessere Chancen als jetzt bei Yunus M.

„Eine Schule ist kein religionsfreier Raum“, sagte Neumann. Auch angesichts zunehmender kultureller und religiöser Vielfalt schütze das Grundrecht auf Religionsfreiheit das Beten. Nach Auffassung des Gerichts könne ein generelles Betverbot nur mit einem Gesetz ausgesprochen werden. „Will man neu austarieren, welche religiösen Bekundungen an Schulen zulässig sein sollen, braucht man dafür eine parlamentarische Grundlage“, sagte Neumann und nannte als Beispiel die Kopftuch-Verbote für Lehrer in verschiedenen Landesgesetzen, auch in Berlin. Dann käme es nicht mehr darauf an, ob es im Einzelfall Konflikte gab. Ob ein solches Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Bestand hätte, ist fraglich. Im Kopftuch-Urteil ging es nur um religiöse Bekundungen von Lehrern. Wie die Verfassungsrichter die Freiheiten von Schülern bewerten, ist offen.

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