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Was gerade geschieht, kann zwar nicht alles, aber vieles verändern – ausgehend von den ersten Männern im Staat.

© Sandra Steins/BPA/dpa

Gedenktage: Mehr Patriotismus wagen!

Die Tage des historischen Gedenkens im November können dazu beitragen, einen demokratischen Patriotismus zu definieren. An der Zeit wäre es längst. Ein Kommentar.

Wenn das Land Glück hat, dann tragen diese Tage des historischen Gedenken vom 9. November 2018 an dazu bei, über Grenzen hinweg Patriotismus in demokratischen Zeiten zu definieren. Ausgehend von den ersten Männern des Staates, dem Bundespräsidenten und dem Bundestagspräsidenten, und dann weiter ausgreifend bin hin zur britischen Queen, dem französischen Staatspräsidenten und der Bundeskanzlerin. Was gerade geschieht, kann zwar nicht alles, aber vieles verändern in der neuen deutschen demokratischen Republik.

Es wird jetzt – endlich – die Chance genutzt, die sich schon mit dem achten Bundespräsidenten, mit Johannes Rau, bot. Als der im Mai 1999 ins Amt kam, sagte er: „Es hat eine lange Diskussion gegeben, auch unter uns, über das Grundgesetz und seine Chancen, über das Verhältnis von Vaterlandsliebe, Patriotismus und Nationalismus. Ich glaube, dass Nationalismus und Separatismus Geschwister sind, und ich will nie ein Nationalist sein, aber ein Patriot wohl. Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt und Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Wir aber wollen ein Volk der guten Nachbarn sein – in Europa und in der Welt.“

Ein Volk der guten Nachbarn auf der Grundlage eines wohlgestalten Patriotismus: Rau unterbreitete ein Angebot. Eine Traditionslinie zeichnend und in die den vormaligen, den dritten Bundespräsidenten Gustav Heinemann aufnehmend, war es das Angebot der Selbstvergewisserung. Es wurde seinerzeit nicht angenommen, jedenfalls entfalteten Raus Worte keine bleibende Wirkung.

Zeitgemäßer Patriotismus für eine selbst-bewusste Nation

Das Jahr 2006 mit seinem „Sommermärchen“ und den freundlich wehenden schwarz-rot-goldenen Fahnen und Fähnchen war dann in weiterem Sinn eine Antwort auf Rau, aber keine ausgesprochene. Das Volk wollte der Welt, die da kam, ein guter Gastgeber sein, war es auch vom Herzen her, aber es fehlte der Versuch, dem Ganzen eine dauerhafte, eine intellektuelle Heimstatt zu geben. Eine, die nicht vornehmlich auf der verbindenden Kraft des Fußballs fußte, sondern auf gemeinsamer Erörterung und Erkenntnis. Das „große Gespräch der Gesellschaft“, das in den frühen siebziger Jahren Willy Brandt als Bundeskanzler herbeiführen wollte, kam nicht in Gang.

Vielleicht aber jetzt. So viel kommt zusammen, im Innern wie im Äußeren. Der zwölfte Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, hat gewissermaßen die Vorlage aufgenommen, die der Bundestagspräsident, Wolfgang Schäuble, am vergangenen Tag der Deutschen Einheit gegeben hatte. Da sagte Schäuble: „Die Nation kann die Vielschichtigkeit der Welt auf einen überschaubaren Rahmen reduzieren. Sie ist historisch gewachsen, wir fühlen uns ihr zugehörig. Ein vertrauter Zufluchtsort vor den alltäglich auf uns einstürzenden Veränderungen der Globalisierung. Darauf können wir nicht verzichten. Und wollen es auch nicht. Die Begegnung mit der übrigen Welt bleibt uns dennoch nicht erspart.“ Und er fügte hinzu: „Selbstvertrauen – Gelassenheit – Zuversicht: Sie bilden den Dreiklang eines zeitgemäßen Patriotismus. Eines Patriotismus für eine – im Wortsinne – selbst-bewusste Nation. Um das beste Deutschland, in dem wir das Glück haben zu leben, noch besser zu machen.“

Das beste Deutschland, in dem wir leben – das denkt genauso der Bundespräsident, wiewohl er mahnt, dass man diese Republik nicht begründen kann ohne die Katastrophe zweier Weltkriege, ohne das Menschheitsverbrechen der Shoah. „Sie sind unverrückbarer Teil unserer Identität.“ Aber Steinmeier sagt auch, dass sich dieses Land nicht allein aus dem Negativen begründet, sondern zugleich aus den „weit verzweigten Wurzeln von Demokratie- und Freiheitsstreben, die es über Jahrhunderte hinweg gegeben hat und aus denen die Bundesrepublik nach 1945 erst wachsen konnte“.

Gegen die, die ihr Heil im Triumph über andere suchen

Den Versuch, „beides im Herzen zu tragen“, zu dem der Bundespräsident aufruft und den der Bundestagspräsident bereits mit ihm unternimmt, heißt, mehr Patriotismus zu wagen. So aufgeklärt wie abgeklärt. Ohne die Stimme zu sehr zu erheben, weil sie bereits machtvoll genug ist, in Europa, der Welt. Aber gegen die gerichtet, die in aggressiver Weise die nationale Vergangenheit vergolden, die ihr Heil im Triumph über andere suchen. Deshalb auch betont Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede zum 9. November den Wert der Farben Schwarz-Rot-Gold und reklamiert sie nachdrücklich für die Demokratie: weil genau diese Farben zur Traditionslinie der aufgeklärten Republik gehören, nicht erst seit 2006, sondern seit dem Hambacher Fest von 1832, zu dem seinerzeit Journalisten einluden, die danach für Presse- und Meinungsfreiheit ins Gefängnis gingen. Schwarz-Rot-Gold, das in diesen Tagen bei denen weht, denen Deutschland ein guter Nachbar sein will, in Europa und der Welt.

Nachbarn wie Großbritannien und Frankreich. In London wird dem Bundespräsidenten die Ehre zuteil, als erstes deutsches Staatsoberhaupt zur nationalen Gedenkzeremonie und der traditionellen Kranzniederlegung am Cenotaph gebeten worden zu sein. Darüber hinaus besucht er mit der Queen einen Gedenkgottesdienst in Westminster Abbey. Das hat es so noch nicht gegeben. In Paris wiederum wird der Bundeskanzlerin eine besondere Ehre vom Staatspräsidenten erwiesen: Emmanuel Macron verzichtet am Triumphbogen auf die traditionelle große Militärparade, um damit symbolisch den europäischen Gedanken über das nationale Gedenken triumphieren zu lassen. Vorher treffen sie einander im Wald von Compiègne, wo vor 100 Jahren in einem Eisenbahnwaggon der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, die Niederlage des Kaiserreichs, und 1940 Adolf Hitler die Franzosen ihre Kapitulation unterschreiben ließ. Am Gedenkort, am Gedenkstein wird nun mit einer Plakette im Namen des Staatspräsidenten und der Bundeskanzlerin die Bedeutung der Aussöhnung bekräftigt.

Johannes Rau hatte recht. Wenn Nationalismus und Separatismus Geschwister sind, dann ist das Deutschland von heute nicht nationalistisch. Und wenn ein Patriot jemand ist, der sein Vaterland liebt und Nationalist ein jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet, dann erweisen dem Land gerade Patrioten einen Dienst. Zu seinem Glück.

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