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Verspäteter Abschied. Die US-Soldaten müssen länger in Afghanistan bleiben als die Präsidenten Karsai und Obama sich das noch 2009 vorgestellt hatten.

© Jim Watson/AFP

Politik: Geduld bitte

Die USA brauchen mehr Zeit – der Präsident kann die geweckten Erwartungen nicht erfüllen

Was würde die zentrale Botschaft des Präsidenten sein – Abzug aus Afghanistan oder bleiben, bis die Taliban besiegt sind? Darüber rätselten die US-Medien am Mittwoch bis kurz vor Barack Obamas Auftritt. Abends um 20 Uhr Ortszeit (zwei Uhr früh am Donnerstag in Europa) wollte er eine Fernsehansprache halten. Obama will verkünden, bis Ende 2012 rund 30 000 Mann nach Hause zu holen, hieß es vorab; das klingt nach viel. Zunächst dürften aber nur wenige tausend heimkehren; das nimmt sich bescheiden aus und wirkt fast wie ein Wortbruch angesichts der Erwartungen, die Obama 2009 geweckt hatte.

Dass die Botschaft widersprüchlich ausfallen muss, liegt in der Natur der Sache. Der Kriegseinsatz in Afghanistan ist schon lange unpopulär. Doch die Amerikaner wollen auch nicht als Verlierer das Feld räumen. Im Herbst 2009 hatte Obama verkündet, er werde 33 000 Soldaten nach Afghanistan schicken, zusätzlich zu den rund 70 000, die dort bereits kämpften. Er verknüpfte das mit dem Versprechen, dass im Juli 2011 der Rückzug beginne – und die Öffentlichkeit verstand das damals so, als sollten diese rund 33 000 Mann Verstärkung in der zweiten Jahreshälfte 2011 heimkehren. Doch darauf wird Amerika ein Jahr länger warten müssen. Der zahlenmäßig große Rückzug wird erst kurz vor der Präsidentschaftswahl Anfang November 2012 einsetzen.

Angesicht der Wetterbedingungen am Hindukusch sind die Sommermonate die Hauptkampfzeit. Im Winter gehen die Kämpfe stark zurück. Die US-Truppen haben Fortschritte erzielt in ihrem Bemühen, die Taliban zurückzudrängen und afghanischen Streitkräften die Verantwortung für Sicherheit und Ordnung zu übergeben. Diese Fortschritte sind jedoch nicht so groß wie erhofft. Deshalb wollen die kommandierenden Generäle länger auf die Verstärkungstruppen zurückgreifen, als anfangs geplant – in jedem Fall bis zum Ende der Kampfsaison 2011 und möglichst auch für den Sommer 2012.

Für den Mai 2012 will Obama am Rande des Gipfels der acht bedeutendsten Wirtschaftsnationen (G-8) einen Nato- Gipfel in Chicago zum Militäreinsatz in Afghanistan veranstalten. Die Nato hatte Ende 2010 auf ihrem Gipfel in Lissabon beschlossen, bis Ende 2014 alle Kampftruppen aus Afghanistan abzuziehen und die Sicherheitsverantwortung an einheimische Kräfte zu übergeben. Anfang Dezember 2011 findet in Bonn eine Afghanistan-Konferenz statt, bei der die Staatengemeinschaft über den Wiederaufbau des Landes und das weitere internationale Engagement am Hindukusch beraten will.

Das Vorbild für die Strategie, die Lage mit einer befristeten Truppenverstärkung zu wenden, ist der Irak: Der Sturz Saddam Husseins und die Eroberung des Landes gelang den USA 2003 in wenigen Wochen. Doch von 2004 an breitete sich der von vielen Selbstmordattentaten begleitete Aufstand der Sunniten aus. Die US-Truppen gerieten in die Defensive. 2007 entschlossen sich Präsident George W. Bush, Verteidigungsminister Robert Gates und Oberbefehlshaber David Petraeus zu einer neuen Strategie: einer Truppenverstärkung, um die Bevölkerungszentren zu schützen, und parallel zu einer politischen Offensive, in der sunnitische Stämme mit politischen Zugeständnissen und viel Geld zum Frontwechsel gebracht wurden. Von 2008 an beruhigte sich der Irak. Obama hat Gates und Petraeus von Bush übernommen und wendet die Irak-Strategie nun auf Afghanistan an. Doch er braucht mehr Zeit.

Um diese Geduld will er Amerika mit der Ansprache bitten. mit AFP

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