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Politik: Gefangen bei Freunden

Im US-Lager Guantanamo sitzen Chinesen ein – in ihrer Heimat sind die Uiguren von Folter bedroht

Berlin - Die US-Regierung steckt in einem Dilemma. Sie weiß nicht, was sie mit mehreren Chinesen anfangen soll, die sie im US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba festhält. Das Pentagon entschied bereits Ende 2003 in einem Tribunal, dass die Männer keine feindlichen Kämpfer seien und daher freigelassen werden könnten. Sie hätten zwar Trainingscamps in Afghanistan besucht, stellten aber nur ein geringes Risiko da. Fünf von ihnen hätten sich lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden, als sie von pakistanischen Kopfgeldjägern gefangen worden seien, wie die „Washington Post“ berichtet.

Doch nach China wollen die USA die Männer nicht zurückschicken, weil sie dort Gefahr liefen, gefoltert oder exekutiert zu werden. Alle sind Angehörige der Uiguren, einer muslimischen Minderheit, die mehrheitlich in der westchinesischen Provinz Xinjiang lebt und nach Unabhängigkeit von der Zentralregierung in Peking strebt. Der Konflikt schwelt schon seit Jahren und hat sich radikalisiert – und islamisiert. Die Separatisten verüben im Namen Allahs Bombenanschläge, mehrere Hundert ließen sich in afghanischen Terrorcamps ausbilden. Die chinesische Regierung antwortet mit zunehmender Repression der Uiguren unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfs. Xinjiang ist nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International die einzige chinesische Provinz, wo in den vergangenen Jahren politische Gefangene hingerichtet wurden. Die in Afghanistan festgenommenen Uiguren geben denn auch an, Peking sei ihr Feind, nicht Washington.

Nun sucht die US-Regierung nach Ländern, die bereit sind, die Uiguren aufzunehmen. Auch in EU-Ländern sind bereits Anfragen eingetroffen. Das italienische Innenministerium erhielt Ende September ein so genanntes „non paper“, Diplomatenjargon für eine inoffizielle Nachricht, in der die US-Regierung „absolut vertraulich“ nachfragt, ob Italien bereit sei, die Chinesen zu akzeptieren. Die Italiener wiederum fragten bei anderen EU-Ländern an – allerdings nicht in Deutschland, wie Kanzleramt und Auswärtiges Amt in Berlin dem Tagesspiegel bestätigen. Doch bisher waren die Bemühungen der USA, eine neue Heimat für die Chinesen zu finden, erfolglos.

Auch Anfragen in der Schweiz, Finnland, der Türkei und einem lateinamerikanischem Land seien negativ beschieden worden, schreibt die „Washington Post“. Die Chinesen befänden sich nun mit vier anderen Häftlingen in Camp Iguana, das zwar ein Teil des Guantanamo-Bay-Gefängnisses bildet, aber den Häftlingen mehr Freiheiten bietet. Dort sei außerdem ein weiterer Uigure inhaftiert, der aber in Saudi-Arabien geboren wurde und dort aufgewachsen ist und wahrscheinlich versehentlich nach Guantanamo Bay gebracht wurde. Auch wohin er geschickt werden soll, wissen die US-Behörden nicht. Daneben sind in Camp Iguana ein Russe, ein Algerier und ein Ägypter inhaftiert, die freigelassen werden könnten. Die Schicksale dieser Männer sorgen mittlerweile auch in den USA für größeres Aufsehen, weil ein US-Bundesrichter angedroht hat, die Freilassung zwei der Uiguren anzuordnen. Die Anwältin der beiden Männer vermutet, dass die US-Regierung ihnen aus innenpolitischen Gründen kein Asyl gewähre – oder, weil man um die Beziehungen zu China fürchte.

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