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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu

© Sebastian Scheiner / AFP

Gefangen in der Populismusfalle: In Israel dominieren die Werte und Sprache der Rechten

Die Wahl in Israel ist ein Zweikampf: Netanjahu gegen die neue „Blau-Weiß“-Partei. Politische Unterschiede gibt es dabei aber kaum. Ein Gastbeitrag.

Shimon Stein war Israels Botschafter (2001-2007) und ist derzeit Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) an der Tel Aviv Universität. Moshe Zimmermann ist Professor emeritus an der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Beim Betrachten der Parteienlandschaft Israels im Jahr 2019 verliert man leicht den Durchblick. Mehr als 40 Parteien ringen um die Wählergunst. Und wegen der 3,25-Prozent-Klausel werden vermutlich bis zu zehn Prozent der gültigen Stimmen verloren gehen. Laut Umfragen befindet sich ein halbes Dutzend der Parteien in gefährlicher Nähe der 3,25-Prozent-Grenze.

Netanjahu gegen Gantz

Doch eines scheint im Wirrwarr klar zu sein: Es läuft auf einen Zweikampf der beiden großen Parteien hinaus – unter der Gürtellinie, vulgär, vornehmlich im Netz. Auf der einen Seite steht der Likud von Benjamin „Bibi“ Netanjahu, auf der anderen Seite die neue „Blau-Weiß“-Partei des ehemaligen Generals Benny Gantz. Im Grunde geht es um die Frage: für oder gegen „Bibi“?

Auch 2015, 2013 und 2009 ging es schon um diese Frage. Und jedes Mal war es „Bibi“, der die Regierung bilden konnte, egal wer der Herausforderer war. Zweimal landete sogar am Ende der Hauptgegner neben ihm in seiner Koalition. Und genau das Szenario könnte sich 2019 wiederholen.

Viele im In- und Ausland staunen: Geht es nicht um mehr? Um die Zweistaatenlösung? Um Rechts gegen Links? Eben nicht. Die Zweistaatenlösung ist kein Thema mehr. Der Vergleich der Wahlpropaganda der beiden Parteien zeigt: „Blau-Weiß“ ist nur Likud „light“. Kein Wunder, denn die Rede vom möglichen Palästinenserstaat schreckt die Mehrheit der Wähler ab. Sie fragen sich, ob Donald Trump, nachdem er Israels Anspruch auf den Golan anerkannt hat, nicht auch die von Netanjahu angekündigte Annektierung der Westbank gutheißen wird?

Alle beiden Haupt-Matadore stehen rechts. Selbst wenn „Blau-Weiß“ sich als Partei der Mitte gibt, um Wähler hauptsächlich aus dem Lager der Mitte zu ködern, inklusive denen aus der Arbeiterpartei. Die effektivste Waffe des Likud gegen das Abwandern von Stimmen aus dem rechten Lager zu „Blau-Weiß“ ist der Vorwurf, die Partei stünde links. Das funktioniert so gut, weil die Mehrheit der israelischen Juden rechts mit richtig und jüdisch, links dagegen mit Verrat assoziiert.

Und so dominieren im politischen Diskurs längst die Werte und die Sprache der Rechten. Um eine Partei oder eine Person zu diskreditieren, reicht der Vorwurf aus, man sei links. Die Parteien, die noch zu den Werten der Linken stehen – sprich: die Arbeiterpartei und die links-liberale Merez, die für die Zweistaatenlösung und für die Gleichberechtigung der nicht-jüdischen Bürger eintreten - werden im besten Fall zusammen 15 Prozent der Stimmen gewinnen. 2015 waren es noch doppelt so viele.

Gaza? Parole: „Plattmachen“

Auf dem rechten Flügel gibt es Parteien, die sogar noch radikaler auf den Gegensatz rechts-links setzen: Die „Neue Rechte“, die „Rechte Sammlungspartei“, „Identität“ oder „Unser Haus Israel“ sind Parteien, die selbst dem Likud Mangel an jüdisch-nationaler Entschlossenheit vorwerfen. Sie konkurrieren miteinander, wer härter mit der arabischen Minderheit und mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten umgehen wird. Sie stehen unumstößlich für mehr Siedlungen und die Annexion der Westbank. Sie übertreffen sich auch mit harten Vorschlägen zur Lösung des Problems Gaza, bis hin zur Parole „Plattmachen“.

Ihr Neoliberalismus ist darwinistisch. Worte wie „Stärke“, „Unbeugsamkeit“ und „Macht“ spielen eine enorme Rolle. Die Likud-Parole lautet, dass rechts und Netanjahu für Stärke stehen, links und Gantz dagegen für Schwäche.

Zu Netanjahus Wahlstrategie gehört seit Langem das Schüren von Angst vor Israels arabischen Staatsbürgern. Seine Kulturministerin warnte entsprechend die Wähler davor, die „linke Blau-Weiß-Partei“ zu unterstützen. Sie malte das Schreckensbild, dass es zu einer Koalition von „Blau-Weiß“ mit den Parteien der arabisch-palästinensischen Bürger Israels kommen könnte – als wäre das Hochverrat.

Als daraufhin eine bekannte Fernsehmoderatorin monierte, dass in einer Demokratie alle Bürger gleich seien und die Delegitimierung der arabischen Bürger Israels undemokratisch sei, meldete sich Netanjahu höchstpersönlich per Instagram zu Wort: „Israel ist nicht der Staat aller seiner Bürger. Dank dem neuen, von uns verabschiedeten Nationalstaatsgrundgesetz ist Israel der Nationalstaat alleine des jüdischen Volkes.“

Regierung um Schwächung der Justiz bemüht

Netanjahu und die israelisch-jüdische Mehrheit sind überzeugt, dass weder dieser Satz noch das neue Grundgesetz der ursprünglichen Idee einer israelischen Demokratie widersprechen. Dass die betroffene arabische Minderheit in Israel (circa ein Fünftel der Bevölkerung, aber aus Protest nur zehn Prozent der Wähler) und die schrumpfende jüdische Linke das anders sehen, ändert an dieser Grundhaltung Netanjahus nichts. An seinem Stuhl können (einstweilen) nicht einmal die Befunde des Generalstaatsanwalts über Korruption ernsthaft rütteln. Seine Anhänger halten sie für eine linke Kampagne. Die Ergebnisse des Generalstaatsanwalts gelten ihnen als undemokratischer Anschlag der Justiz, der alten Eliten, auf Netanjahu. Obwohl der Likud seit 40 Jahren an der Macht ist, präsentiert er sich erfolgreich als Vertreter der „Abgehängten“ und hält die bereits abgeschlagenen, alten Eliten der Arbeiterpartei noch immer für das Hindernis schlechthin auf dem Weg der neuen Eliten zur verdienten Bedeutung.

Die Regierungsparteien bemühen sich auch ganz generell um eine Schwächung der Justiz, der sie linke Intentionen, sogar Verrat, vorwerfen. Denn diese schreitet auch gegen Siedler oder Soldaten ein und nimmt ihre Aufgabe ernst, die vom Parlament verabschiedeten Gesetze, wie etwa das Nationalstaatsgesetz, auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Justizministerin verwechselt Faschismus mit Demokratie

Die Justizministerin der „Neuen Rechten“ verspricht dagegen im Wahlkampf eine noch stärkere „Zähmung“ der Justiz im jüdischen Staat, mit der sie bereits begonnen hat. In einem Wahlspot hält die Ministerin einen Parfümflakon mit der Inschrift „Faschismus“ und kommentiert: „Was unsere Gegner Faschismus nennen, riecht mir eher nach Demokratie.“

Doch eine Justizministerin, die Faschismus mit Demokratie verwechselt; ein Kandidat der „rechten Sammlungspartei“, der Rassismus in Gesetz ummünzen will; und der Führer der „Identitätspartei“, der für „einen Staat, für ein Volk mit einem Gott“ Werbung macht, könnten als Koalitionspartner sogar für Netanjahu unerträglich sein. Dann aber wird „Blau-Weiß“ nicht mehr in der Lage sein, Nein zu einer Koalition mit dem Likud (und den Parteien der Ultraorthodoxen) zu sagen, eben um „Schlimmeres“ zu verhindern. Diejenigen, die auf das Ende der Ära Netanjahu, gar der Likud-Dominanz und somit einen neuen Anfang hoffen, stimmen die Prognosen für die bevorstehende Wahl am Dienstag nicht optimistisch.

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