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Mit einem Rauswurf hatte er nicht gerechnet. Am Mittwoch ging dann alles sehr schnell.

© dpa

Gefeuerter Umweltminister: Wie Röttgen abserviert wurde

Mit allem hatte der Umweltminister gerechnet, als ihn Angela Merkel zum Gespräch bat, aber nicht mit seiner Entlassung. Doch die Kanzlerin spürte, dass er ihr gefährlich wurde. Gefährlich schwach.

Von Robert Birnbaum

Wenn der Blitz einschlägt, dann gibt es erst dieses ohrenbetäubende Krachen, dann ein kurzes Nachgrollen – und dann ist es plötzlich still. Der Blitz, der Norbert Röttgen traf, kam nicht aus heiterem Himmel. Trotzdem, das schlimmste Unwetter schien lange vorbei an diesem Mittwochnachmittag, die Wahlniederlage, der Rücktritt vom Landesvorsitz, das bayerische Rumpeln, das viel zu laut war, um nicht wie Theaterdonner zu wirken. Angela Merkel ist auch nicht laut. Sie ist knapp, geschäftsmäßig, fast staatslehrerhaft. „Guten Tag meine Damen und Herren“, sagt die Kanzlerin in die eilends ins Kanzleramt bestellten Kameras und Mikrofone hinein, „ich habe heute Vormittag mit dem Herrn Bundespräsident gesprochen, und ich habe ihm gemäß Artikel 64 des Grundgesetzes vorgeschlagen, Norbert Röttgen von seinen Aufgaben als Bundesumweltminister zu entbinden und so in diesem Amt einen personellen Neuanfang möglich zu machen.“ Die den Satz hören, blicken einander an. He, sie hat ihn rausgeworfen!

Noch am Tag danach hält die erschrockene Stille an. Mit dem Feiertag hat sie wenig zu tun. Es gibt ja etliche Menschen, die mit diesem Norbert Röttgen ein paar Rechnungen offen haben, es gibt noch viel mehr, denen dieser Umweltminister bei ihren Geschäften lästig war, seien sie ökonomischer, ökologischer oder parteipolitischer Art. Die alle hätten Grund zur Schadenfreude. Einige wenige lassen sie sich nicht entgehen. Aber selbst solche, die er auf seinem Weg nach oben beiseitegeräumt hat, wirken wie betäubt von dem Schlag. „So ein Blutbad!“ stöhnt einer, „es ist unfassbar!“

Für Röttgen ist's vorbei. Sehen Sie hier die Hoffnungsträger und Absteiger in der CDU:

Jedenfalls ist es ziemlich einzigartig. Bundesminister, selbst wenn man sie zur Einsicht drängen musste, pflegen im Abgang den Schein der Freiwilligkeit zu wahren. Wenn nicht tief in der Historie der Bundesrepublik ein Fall vergessen worden ist, war Rudolf Scharping 2002 überhaupt der erste, den sein Kanzler rausschmiss. Merkel hätte sich die Wiederholung gerne gespart. Sie weiß ja, wie sie jetzt dasteht – die Frau, die alle Konkurrenten abserviert, notfalls mit der gesamten Amtsgewalt. In Wahrheit war Röttgen mit seinen 46 Jahren nie eine Konkurrenz für die mächtigste Frau Europas. Aber gefährlich – gefährlich geworden schien er ihr schon. Gefährlich schwach.

Der Ablauf ist schnell erzählt. Merkel hat seit dem 26-Prozent-Desaster in Nordrhein-Westfalen am Sonntag darüber nachgedacht, ob ein derart abgestürzter Superstar das Mammutprojekt Energiewende noch hinkriegt. Sie hat das Röttgen später selber so erzählt; anmerken lassen hat sie sich nichts. Nach dem Telefonat, das beide am Sonntagabend führten, hatte der Wahlverlierer den festen Eindruck, dass mit seinem prompten Rücktritt als Landeschef die Sache erledigt sei. Das Rückfahrticket nach Berlin, das er selbst ausgestellt hatte, schien zu gelten. Zwar ohne ICE-Zuschlag ab jetzt, nur noch Regionalexpress, aber immerhin.

Es gab keinen lautstarken Krach, aber Merkel blieb hart

Am Montag gab es eine erste, ganz kleine Unwetterwarnung. In der Pressekonferenz nach dem CDU-Vorstand hob Merkel hervor, wie wichtig die „Kontinuität der Aufgabenerfüllung“ im Umweltbereich sei – von Kontinuität des Amtsträgers sprach sie nicht. Ob das direkt als Fingerzeig gemeint war, ist unklar. „Da war eher Sigmund Freud im Spiel“, glaubt einer, der es sonst wissen müsste.

Am Dienstagnachmittag gegen 17 Uhr fuhr der Umweltminister im Kanzleramt vor. Merkel hatte ihm den Termin schon am Sonntag vorgeschlagen, um mal zu reden, was ja auch nicht ungewöhnlich ist nach einer so Landtagswahl. Doch Merkel wollte nicht nur so mal reden. Sie sei zu dem Schluss gekommen, eröffnete sie dem ahnungslosen Röttgen, dass die Energiewende zu wichtig sei für das Land, die Regierung und vor allem für den Wahlkampf 2013, als dass ein krachend an sich selbst gescheiterter Wahlverlierer sie noch bewältigen könne. Eine gute Stunde dauerte das Gespräch. Röttgen verteidigte sich, zählte Erfolge auf – der erbitterte Endlager-Streit zum Beispiel sei doch einer politischen Lösung nahe –, schüttelte den Kopf über den kalkulierten Fernseh-Wutausbruch des Horst Seehofer. Er wolle, er könne bleiben, ohne ihn werde nichts besser.

Es gab, glaubt man dem, was so zu hören ist, keinen lautstarken Krach. Aber Merkel blieb hart. Er könne eine Nacht darüber schlafen, doch sie werde sich nicht umentscheiden.

Nach der Kabinettssitzung kam das Ende. Das letzte Gespräch war kurz. Röttgen wollte nicht weichen und auch nicht den Schein wahren. Nur um ein paar Stunden Zeit hat er gebeten, damit seine Kinder in der Schule nicht von Vaters Rausschmiss aus den Nachrichten erfahren. Merkel hat Bundespräsident Joachim Gauck im Italien-Urlaub informiert. Die Parteichefs der Koalition bekamen erst am Nachmittag Bescheid.

Die beiden haben auf ihre Weise Anteil an dem Einschlag. Philipp Rösler von der FDP ist im Nebenjob einer der drei Minister, an denen die Energiewende hängt – der dritte heißt übrigens Peter Ramsauer, wegen Zuständigkeit für Elektroautos und Gebäude, was aber bisher kaum einer gemerkt hat. Rösler dankt dem entlassenen Minister kürzestmöglich und teilt dem Nachfolger schon mal mit, dass man „besonders auf die Bezahlbarkeit von Energie für Verbraucher und Wirtschaft achten“ müsse. Starke Politiker haben solche Sätze nicht nötig. Der FDP-Chef auf Abruf führt Merkel täglich vor, wie es aussieht, wenn einer nur noch gegen das eigene Verliererimage ankämpfen kann.

Seehofer hat es ihr direkt vorgeführt. Dass dessen Empörungsausbruch – clever zu maximaler Wirkung gebracht als Tabubruch in der deutschen Fernsehinterviewkultur, obwohl der CSU-Chef im offiziellen Teil nichts anderes gesagt hat als danach – wirkt heute wie der Funke, der den Blitz gezündet hat. Aber der CSU-Chef hat Merkels Entschluss nicht ausgelöst, „eher im Gegenteil“, sagt ein Kanzlerinnen-Kenner. Nur eins habe der Vorgang bestätigt: Wenn schon der Bayer sich traue, einen Bundesminister als Fußabtreter zu misshandeln, dann zeige das Röttgens „schweren Autoritätsverlust“.

Sie sind so unterschiedlich wie Prosecco und Rotwein

Dass er den noch mal vergessen machen kann, hat Merkel nicht geglaubt. Welche Rolle dabei die Erfahrung mit der Unbelehrbarkeit des Hochintelligenten gespielt hat, darüber kann man nur mutmaßen. Immerhin hat er ja mal zum verschworenen Ratgeberkreis der Oppositionsführerin Merkel gehört. Aber das ist lange her. Das Verhältnis ist abgekühlt, wechselseitige Enttäuschungen taten das Ihre dazu. Trotzdem, sagt einer, der Merkel gut kennt: „Das ist für alle bitter.“

Das kann man wohl sagen. „Egal wer mit ihm mal Krach gehabt hat, es gibt keine Schadenfreude“, sagt einer, der mit ihm schwer Krach gehabt hat. Aus dem Landesverband NRW, der allen Grund hätte, mit dem Wahlkämpfer zu rechten, kommen stattdessen empörte Solidaritätsadressen: „Ich verstehe nicht, dass Norbert Röttgen bis Sonntagabend als hervorragender Umweltminister galt, der er war, und heute entlassen wird“, zürnt Fraktionschef Karl-Josef Laumann. „Ich hätte mir eine andere Konstellation gewünscht“, moniert Norbert Lammert. Der CSU-Umweltpolitiker Josef Göppel beschwert sich in einem Brief an Merkel und Seehofer, wie man in einer christlichen Partei derart miteinander umgehen könne. Und Wolfgang Bosbach schüttelt in den Talkshows den Kopf über diese Entscheidung, die er machtpolitisch verstehen kann, aber menschlich nur schwer. Es ist viel davon die Rede gewesen, wie viele Gegner Röttgen immer hatte, und das stimmt ja – nicht zuletzt unter all den Grünen und Ökos, die nichts schwerer ertrugen als einen Schwarzen, der ihrem politischen Geschäftsmodell die Grundlage zu entziehen drohte. Aber Freunde hat er schon auch.

Was Politiker zur Wahl in NRW sagen:

Einer folgt ihm jetzt nach. Peter Altmaier hat ebenfalls erst am Mittwoch erfahren, dass er jetzt das Gesicht der Energiewende wird. Altmaier und Röttgen sind zusammen in den Bundestag gekommen, haben zusammen schwarz- grüne Pizzarunden und kleine Aufstände gegen Helmut Kohl bestritten.

Trotzdem sind sie so unterschiedlich wie Prosecco und Rotwein. „Der Peter ist nicht nur loyal, der ist treu“, sagt einer, der ihn seit Jahrzehnten kennt. Für Merkel hat das den Ausschlag gegeben. Das und die Einschätzung, die selbst Kritiker der Röttgen-Ablösung teilen: „Wenn jemand das hinkriegt, obwohl er von Umweltpolitik bisher keine Ahnung hat, dann Peter Altmaier.“ Nicht, weil der 54-Jährige auch aus dem Saarland kommt wie der große Vorgänger Klaus Töpfer. Nicht nur, weil er die Energiewende richtig fand, die Laufzeitverlängerung seinerzeit aber eigentlich vernünftiger. Sondern weil der 54-jährige Gemütsmensch ein Netzwerk-Knüpfer über alle Grenzen ist. Als die Ernennung bekannt wird, prasseln auf sein Twitter-Konto Glückwünsche von Parteifreund bis Pirat.

Zwiespältig bleibt die Ernennung trotzdem. Für den Grund kann er nichts. Aber Peter Altmaier ist die letzte Garde der Königin. Vielleicht rührt das allgemeine Unbehagen sogar mehr aus dieser Erkenntnis als aus dem Zusammenzucken vor jener Machtpolitik, die Röttgen selbst ja nicht fremd war. Es sagt nämlich etwas darüber aus, wie die kühle Analytikerin im Kanzleramt ihre eigene Lage einschätzt. Bedrängt in Europa, eingesperrt in einer zänkischen Koalition, dazu eine Partei mit schwankender Selbstgewissheit und ein halb mattes Kabinett – in Merkels Welt ist kein Platz mehr für politische Reha-Patienten mit ungewissen Heilungschancen. „Wenn man nur den Kopf benutzt“, sagt ein Christdemokrat, „dann ist die Entscheidung richtig.“ Einen Kloß im Hals haben sie trotzdem fast alle. „Vielleicht“, sagt einer, „ist das die dunkle Seite der Macht.“

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