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Politik: Gegen die Politbürokraten gesiegt, beim Volk verloren

Morgen vor zehn Jahren, am 18. März 1990, gab es zum ersten und letzten Mal freie Volkskammerwahlen.

Morgen vor zehn Jahren, am 18. März 1990, gab es zum ersten und letzten Mal freie Volkskammerwahlen. Die Bürgerrechtler hatten es nicht leicht im Wahlkampf. Wo sie hinkamen, schlug ihnen Sympathie für ihre Zivilcourage entgegen. Aber nach ausgiebigem Schulterklopfen wurde den einstigen DDR-Oppositionellen vom Volk beschieden: "Ihr könnt die Karre nicht aus dem Dreck ziehen." So erinnert sich der in Kreuzberg lebende Wolfgang Templin an die DDR-Volkskammerwahlen. Er hatte die Initiative "Frieden und Menschenrechte" am Runden Tisch vertreten und wollte für sie ein Mandat in Gera gewinnen. Er scheiterte - und mit ihm alle im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Gruppen. Niederschmetterndes Ergebnis im Land des friedlichen Umbruchs: Zwei komma neun Prozent.

"Wir waren demokratische Idealisten", sagt Templin zehn Jahre später. Die alles überstrahlende "Allianz für Deutschland" habe den Runden Tisch und die dortigen Politikentwürfe als "nebensächlich" abgetan. Sie vollzog die deutsche Einheit bereits im Wahlkampf, setzte auf das Zugpferd Helmut Kohl und baute - wie die SPD - auf Finanzhilfen aus dem Westen. Bunte Flugblätter mit einem schwarz-rot-goldenem "Ja!" verbreiteten Optimismus und Wohlstands-Hoffnungen. Die Bürgerrechtler wollten dagegen "Programme erläutern", erzählt Templin. Den Anspruch hat er sich bis heute bewahrt.

Der 50-Jährige hat "keine Lust auf politische Verschleißkämpfe". Während seine einstigen Mitstreiter politische Karriere machen - Günter Nooke etwa wurde jüngst Fraktionsvize der CDU/CSU -, belässt es Templin bei gelegentlichen publizistischen Wortmeldungen. Er nennt das ziviles Engagement und ist sich bewusst, dass viele darüber lachen. Sein fast schon trotzig klingendes Motto lautet: "Lieber Moralist als angepasst."

Sind alle Bürgerrechtler so? Was ist das überhaupt, ein Bürgerrechtler? Templin macht sich die Antwort nicht leicht. Natürlich werde damit das frühere Engagement gegen die SED-Diktatur gewürdigt. "Wir haben uns schließlich für die Freiheit aufgerieben." In dieser Hinsicht ist Templin wahrlich ein profiliertes Beispiel. Nachdem der ausgebildete Bibliothekar und studierte Philosoph seine Stasi-Kontakte abbrach und stattdessen mit der polnischen Opposition kungelte, schickten ihn die Machthaber 1983 in den Wald - als Hilfsarbeiter zum Holzhacken.

Trotzdem meint Templin, der Begriff Bürgerrechtler sei kein Privileg, dass sich allein aus der Biographie ableiten lasse. Es gelte, sich einzumischen und Visionen von einer sozialen Gesellschaft zu entwickeln. Dabei stehe oft der alltägliche Opportunismus im Weg. So wie bei der Volkskammerwahl? Zu einer solchen Aussage will sich Templin dann doch nicht hinreißen lassen. "Es war kein besseres Verfahren zur Hand", sagt er, "wie so oft im Leben".

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