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Politik: Gegen die Wand

Der Aufruhr in Pariser Vorstädten weitet sich aus – und die Kritik an Frankreichs Innenminister wächst

Seit Tagen gibt es Krawalle zwischen Jugendlichen und der Polizei im Nordosten von Paris. Am Dienstag sah es dann zunächst so aus, als würde Ruhe einkehren: Frankreichs Ministerpräsident Dominique de Villepin traf sich mit den Familien des 15-jährigen Banou und des zwei Jahre älteren Ziad, die am vergangenen Donnerstag in einer Hochspannungsanlage im Pariser Vorort Clichy-sous-Bois gestorben waren. Die beiden Jungen, deren Familien aus Tunesien und aus Mali stammen, wähnten sich von der Polizei verfolgt. De Villepin sagte nach dem Treffen die völlige Aufklärung des Unglücks zu. Das Gespräch fand im Beisein von Innenminister Nicolas Sarkozy statt, dessen Einladung die Eltern am Vortag noch empört abgelehnt hatten.

Doch alle Anzeichen des guten Willens blieben wirkungslos. In der Nacht zum Mittwoch wurde der Norden der Region erneut Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei – und das in einem bisher ungekannten Ausmaß. In Clichy, wo die Krawalle vergangene Woche begonnen hatten, blieb es ruhig. Umso heftiger waren die Auseinandersetzungen in anderen Orten des Departements Seine-Saint- Denis sowie den angrenzenden Departements, auf die die Unruhen übergriffen.

Frankreich ist entsetzt. De Villepin und Sarkozy verschoben am Mittwoch sogar geplante Auslandsreisen. Zwar sind Konfrontationen zwischen Jugendlichen und der Polizei, brennende Autos und zerstörte Telefonzellen in den Pariser Vorstädten nichts Neues. Das hat es auch in Straßburg, Marseille oder Lille gegeben. Die Krawalle sind die Zeichen einer seit langem schwelenden Krise. Aber sie wurden stets so schnell wieder vergessen, wie die ausgebrannten Wracks abtransportiert waren. Doch diesmal ist die Gewalt mit einer Wucht ausgebrochen, die das Versagen vor einer Aufgabe andeutet, für das nicht nur die jetzige Regierung verantwortlich ist – der sozialen Integration der Einwanderer. Wie in Clichy mit seiner vornehmlich jungen Bevölkerung maghrebinischer und schwarzafrikanischer Herkunft leben auch in anderen Orten viele Jugendliche der zweiten und dritten Einwanderergeneration am Rande der Gesellschaft. Viele scheitern in der Schule, finden keine Arbeit und werden bei der Wohnungssuche abgewiesen. Die Folge dieser alltäglichen Diskriminierung ist der Rückzug in Ghettos, in denen oft Banden den Ton angeben.

Die vorige sozialistische Regierung hatte versucht, dem Problem mit präventiven Maßnahmen beizukommen. 2002 warf der konservative Innenminister Sarkozy das Steuer herum. „Sie sind keine Sozialarbeiter“, erklärte er einmal vor Polizeibeamten. Er will Erfolge in der Verbrechensbekämpfung sehen. Laut Statistik geht die Zahl der kleinen Delikte zurück. Doch die Gewalt gegen Personen nimmt weiter zu. Ob Sarkozy mit seinem martialischen Auftreten an der Situation in den Vorstädten etwas ändern kann, ist zweifelhaft. Zwei Bürgermeister, der eine ein Sozialist, der andere ein Parteifreund des Innenministers, haben seinen Kurs kritisiert, der allein auf dem massiven Einsatz der Polizei beruht. In der Regierung erscheint Sarkozy mehr und mehr isoliert. Präsident Jacques Chirac und Premierminister de Villepin ließen ihn bisher kommentarlos gewähren – offenbar in der Absicht, wie die satirische Wochenzeitung „Le canard enchaîné“ schreibt, den lästigen Konkurrenten für die Präsidentenwahl 2007 gegen die Wand laufen zu lassen.

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