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Politik: Gegen Freunde

Die Soldaten der israelischen Armee bereiten sich auf die Räumung des Gazastreifens vor

Dies wird kein Krieg. Es darf keiner werden, obwohl Soldaten ihn führen müssen. Mitte August wird die israelische Armee 8500 Menschen aus 21 Siedlungen, darunter Frauen und viele Kinder, aus dem Gazastreifen heraus eskortieren müssen. Viele haben beschlossen, sich in dieser Erde festzukrallen. Juden gegen Juden – die israelische Öffentlichkeit hat einen Horror vor solchen Bildern.

Eine Generalprobe gab es bereits – und sie ist schief gelaufen. Beim allerersten schweren Zusammenstoß zwischen Siedlern und Soldaten am vergangenen Sonntag hatte ein Soldat schon nach einer Stunde den Dienst verweigert. Er sei nicht nach Israel gekommen, um Juden von ihrem Land zu vertreiben, hat Avi Biber, 19 Jahre alt, gesagt, womit er prompt zur Kultfigur radikaler Siedler wurde. Biber wurde zu 56 Tagen Haft verurteilt. Vor zwei Tagen gab es dann die nächsten Szenen: Polizei und Armee räumten das Palm-Beach-Hotel, das jüdische Extremisten von der Westbank in eine Festung verwandelt hatten. Nach den schweren Zusammenstößen wurde der Gazastreifen kurzzeitig sogar zum militärischen Sperrgebiet – das wurde am Freitag aber wieder aufgehoben. Die Armee will nun kein Baumaterial in die Siedlungen lassen.

Seit einem Dreivierteljahr planen die Israel Defence Forces (IDF) den Abzug der Siedler. Bis zu 40000 Hilfskräfte sollen einsatzbereit sein. Schon ab Mitte Juli herrscht Urlaubssperre im ganzen Land für Reservisten und Krankenhauspersonal. Insgesamt sollen rund 20 Prozent der IDF mit dem Projekt befasst sein.

Aber die größte organisatorische Hürde ist nur schwer zu nehmen, weil sie nicht greifbar ist: die Psyche der Soldaten. Das Problem ist, dass viele von ihnen schon im Gazastreifen gedient haben, um die Siedlungen zu sichern. Die Siedler im Gazastreifen gelten im Gegensatz zu denen auf der Westbank als friedlich und vor allem als armeefreundlich. Es ist gang und gäbe, dass Soldaten per Autostopp zur Arbeit zu kommen, und die Siedler nahmen sie gerne mit, zu Festen gab es Geschenkkörbe – das alles hat auch enge private Bindungen ergeben. „Wir müssen unsere Soldaten deshalb vor allem mental auf den Einsatz vorbereiten, besser: auf die verschiedenen Einsätze“, sagt Captain Jael Hartmann, Sprecherin der israelischen Armee.

Der Plan sieht sechs Zirkel vor. Den innersten und wichtigsten Zirkel übernehmen Profisoldaten – „ältere und reifere Persönlichkeiten, die nicht so leicht unter Stress zu setzen sind“, zusammen mit Polizisten, die an den Umgang mit Zivilisten gewöhnt sind. Ihre Aufgabe ist es zu reden. Sie sollen die Siedler davon überzeugen, ihre Häuser zu verlassen und sich in Busse zu setzen, die sie hinausfahren – erst die letzte Konsequenz sei es, Siedler auch gegen ihren Willen hinauszutragen.

Diese gemischten Einheiten, die je 15 bis 20 Mann umfassen, trainieren schon seit zwei Monaten zusammen. „Sie sollen Freunde werden, um sich gegenseitig stützen zu können, denn das wird keine normale Combat-Situation“, sagt Jael Hartmann. Es werden auch Frauen dabei sein, von den in Israel sehr bekannten Wild-Cats, einer Spezialtruppe, in der Frauen den gleichen Dienst versehen wie Männer; sie sollen sich um Siedlerinnen und Kinder kümmern. Keiner im innersten Zirkel wird eine Waffe tragen. „Die Siedler sind ja nicht der Feind.“

Nicht zupacken zu dürfen, erfordere jedoch eine „eine Eindämmung der soldatischen Reflexe“. Deshalb hat die Armee schon vor Wochen Schauspieler engagiert, an denen die Soldaten die sanfte Eskorte üben können. Mit welchem Griff nimmt man einer Frau das Baby vom Arm, ohne ihr wehzutun? Wie lautet die Antwort, wenn der Siedler freundlich einlädt: „Komm, frühstücke mit uns, denn wir werden nirgendwohin gehen“? Es wurden Hauskulissen errichtet, in denen trainiert wird, wie der Soldat das Haus betritt und wie laut er sprechen darf. Das Motto lautet: „Hug and evacuate“ – umarme und evakuiere. Schubst ein Siedler, soll der Soldat mit festem, aber nicht schmerzhaftem Schwitzkasten antworten. Für Soldaten, denen doch die Nerven durchgehen, stehen in den Camps rund um die Siedlungen Psychologen bereit.

Die restlichen fünf Zirkel sollen vor allem schützen. Der zweite Zirkel sichert den ersten gegen palästinensische Selbstmordattentäter. Zirkel drei bewacht die Straßen, auf denen die Siedler aus dem Gazastreifen hinausgefahren werden. Die vom vierten Zirkel schützen den Gazastreifen nach außen gegen gewalttätige Siedler, die aus dem Westjordanland kommen, um die Aktion zu stören. Nummer fünf schützt wiederum diese Soldaten, während das Kommando sechs im ganzen Land zu verhindern sucht, dass Demonstranten Kreuzungen blockieren oder anderes anstellen.

Mit dem Abzug aus dem Gazastreifen ist aber nicht nur der 15. August gemeint. Die Armee rechnet damit, dass Siedler sich unter Umständen tagelang in ihren Häusern festsetzen werden. Auch dass nun beschlossen wurde, die Siedlerhäuser zu zerstören – wieder unter Mithilfe der Armee, die die zivilen Abrissunternehmen schützen soll – verlängere die Aktion: um mindestens sechs Monate. Jael Hartmann sagt: „Bis unser Part abgeschlossen ist, wird es Ende Dezember sein.“

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