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Politik: Gegen jeden Befehl

Israels Armee setzte im Libanonkrieg Streubomben ein, obwohl der Generalstabschef das untersagte

Die Zweifel und Kritik an der israelischen Führung wachsen weiter, die Glaubwürdigkeit von Politik und Militär sinkt. Die beiden aktuellsten Beispiele: Verteidigungsminister Amir Peretz widersetzt sich einer Anordnung von Ministerpräsident Ehud Olmert und eine Untersuchung zeigt, dass im Libanonkrieg offenbar der Befehl von Generalstabschef Dan Halutz missachtet wurde, keine Streubomben einzusetzen.

Verteidigungsminister Peretz hatte am Wochenende mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas telefonisch über einen Waffenstillstand gesprochen. Der Deal: Stopp des Kassam-Raketenbeschusses und des Waffenschmuggels durch die Palästinenser, Einstellung der Militäraktionen, insbesondere Liquidierungen, gegen Hamas und Islamischer Dschihad durch Israel. Während Abbas versprach, schon am Montag von den Verantwortlichen für die Kassam-Attacken den Waffenstillstand zu verlangen, musste Peretz wütende Reaktionen aus dem Büro des Regierungschefs über sich ergehen lassen. Olmert hatte Peretz gleich mehrfach Gespräche mit Abbas untersagt: „Niemand wird Abbas vor mir treffen.“ Ein Waffenstillstand, sagte Olmerts Berater, „ist nicht etwas, was man in einem zweiminütigen Telefongespräch vereinbart“. Bis Ende der Woche will der Regierungschef eine politische Initiative zur Erneuerung der Gespräche mit den Palästinensern vorlegen. Für Mittwoch ist zu diesem Zweck das Sicherheitskabinett einberufen. Peretz’ Alleingang hat außerdem als unmittelbare Folge, dass die Rufe nach seinem Rücktritt wieder lauter wurden und sich der Kreis seiner Gegner auch in seiner Arbeitspartei erneut erweitert hat.

Das Gleiche gilt für den Oberkommandierenden der Armee, Dan Halutz. Dem seit dem missglückten Libanonkrieg heftig attackierten Generalstabschef ist zumindest ein kleiner Befreiungsschlag geglückt. Eine von ihm angeordnete Untersuchung ergab, dass Halutz den Einsatz von Streubomben im Libanonkrieg klar und eindeutig untersagt hatte, die Bodentruppen diesen Befehl aber missachteten – im Gegensatz zur Luftwaffe, die sich weitgehend daran hielt. Halutz bezeichnete in einer ersten Reaktion auf den Untersuchungsbericht seine Befehle zur Beschränkung des Streubombeneinsatzes als explizit und daher unmissverständlich. Er sei „enttäuscht“. Der Einsatz der weltweit geächteten Streubomben ist zwar gemäß internationaler Übereinkünfte nicht verboten, doch dürfen sie nicht gegen Wohngebiete eingesetzt werden. Genau daran hatte sich Halutz in seinem Befehl offensichtlich gehalten. Warum sein Befehl missachtet wurde, soll nun eine weitere Untersuchung klären. Es könnte durchaus sein, dass Kommandanten der Bodentruppen mit der Taktik, den Krieg allein durch Luftangriffe zu entscheiden, nicht einverstanden waren, und den Befehl bewusst sabotierten.

Die israelische Artillerie und – anscheinend nur in Einzelfällen auch die Luftwaffe – schossen Tausende von Streubomben und -granaten im Krieg ab, von denen jede hunderte kleiner Bomben enthielt, die sich über dem Zielgebiet ausbreiteten. Insgesamt dürften rund vier Millionen solcher Kleinbomben auf libanesischem Gebiet niedergegangen sein – meist nahe bewohnten Gegenden.

Die Minenräumeinheit der UN geht davon aus, das rund 30 bis 40 Prozent dieser Kleinbomben nicht explodiert sind. Diese Blindgänger sind somit quasi Landminen, die auch nach Jahrzehnten noch explodieren können. Die Entschärfung dürfte erst Ende 2007 beendet sein. Bisher sind an rund 800 Plätzen im Südlibanon 58 000 nicht explodierte Kleinbomben gefunden worden. Seit Ende des Libanonkrieges Mitte August sind mindestens 22 Zivilisten, darunter einige Kinder, durch herumliegende Kleinbomben getötet und 134 weitere verletzt worden. Erst kürzlich hatte Israel bekannt gegeben, dass auch der Feind, also die Hisbollah, Streumunition eingesetzt habe.

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