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Erdogan

© dpa

Geheimplan: Komplott gegen türkische Regierung - aber von wem?

Seit Tagen kennt die türkische Öffentlichkeit kein anderes Thema mehr: Eine unabhängige Zeitung hat einen von Offizieren des Generalstabs unterzeichneten Geheimplan zur Destabilisierung der Regierung Erdogan veröffentlicht. Was steckt dahinter?

Nachdem sich die Armeeführung von dem Dokument distanziert hat, spekulieren Medien und Politiker darüber, wer hinter dem Plan stecken könnte. Viele Beobachter glauben, dass der Plan zwar innerhalb der Armee, aber ohne wissen der Militärführung ausgearbeitet wurde. Von einer "Junta" in den Streitkräften ist die Rede.

Die Zeitung "Taraf", die für ihre kritischen, aber meist zutreffenden Berichte über die politisch immer noch sehr mächtige Armee bekannt ist, berichtete am vergangenen Freitag über den Geheimplan: Ein Oberst im Generalstab habe vor zwei Monaten in einem als geheim eingestuften Bericht die Bestandteile einer Kampagne zusammengefasst, mit denen die religiös-konservative Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und ihre Anhänger und Förderer destabilisiert, geschwächt und verleumdet werden könnten. "Aktionsplan zum Kampf gegen die (islamistische) Reaktion" hieß das Ganze laut "Taraf".

Der Plan sah demnach unter anderem vor, dass Provokateure in die AKP eintreten und dort für parteiinternen Zwist sorgen sollten. Zugleich empfahl der Oberst, in den - in ihrer Mehrzahl armee-hörigen - türkischen Medien negative Berichte über die türkischen Erzfeinde Armenien und Griechenland zu lancieren, um die türkischen Rechtsparteien zu stärken und die AKP zu schwächen. In Einrichtungen der Bewegung von Fethullah Gülen, eines islamischen Predigers, der von der Armee und Justiz als Extremist betrachtet wird, sollten Waffen platziert und dann bei Hasdurchsuchungen "entdeckt" werden, um die Gülen-Bewegung als Terrororganisation verfolgen zu können.

Dass die Armee als selbsternannte Wächterin über den Laizismus in der Türkei der Erdogan-Regierung nicht traut, ist bekannt; erst vor zwei Jahren drohten die Militärs mit einem Putsch gegen den Premier, der von vielen Offizieren als Islamist betrachtet wird. Auch ist bekannt, dass es innerhalb der Armee zumindest in den vergangenen Jahren spezielle Abteilungen gab, deren Aufgabe darin bestand, unter anderem mit Hilfe von Desinformationen ein für die Militärs günstiges Klima in der Öffentlichkeit herzustellen und die jeweilige Regierung unter Druck zu setzen.

Zudem stehen aktive und pensionierte Offiziere der Armee derzeit wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der rechtsgerichteten Organisation "Ergenekon" vor Gericht. "Ergenekon" plante laut Anklage einen bewaffneten Umsturz gegen die Erdogan-Regierung.

Doch der "Taraf"-Bericht sorgte in der türkischen Öffentlichkeit trotzdem für einen Schock. Schließlich hatte Generalstabschef Ilker Basbug erst im April öffentlich versichert, die Armee dulde in ihren Reihen keine anti-demokratischen Aktivitäten - etwa zur selben Zeit, als laut "Taraf" der "Aktionsplan" verfasst wurde.

Dies und die erste Reaktion der Armee auf die Veröffentlichung lösten viel Kritik aus. Denn zunächst einmal wollten die Militärs den Türken per Nachrichtensperre verbieten, über die "Taraf"-Geschichte zu diskutieren. Der Versuch scheiterte: Die Zeitungen kümmerten sich nicht darum und waren voll mit Berichten und meist armee-kritischen Kommentaren.

Selbst Beobachter wie Ertugrul Özkök, Chefredakteur von "Hürriyet" und nach eigenem Bekunden glühender Armee-Anhänger, gingen mit den Militärs hart ins Gericht. Sollte der "Taraf"-Bericht zutreffen, sei im Generalstab eine schwere Straftat begangen worden, schrieb Özkök. Außerdem habe es die Armee nicht einmal geschafft, den angeblichen Plan unter Verschluss zu halten. In seiner Enttäuschung fühlte sich Özkök an einen Satz von Vize-Premier Bülent Arinc erinnert, eines prominenten Armee-Kritikers: "Gut, dass wir mit solchen Soldaten nicht in einen Krieg ziehen müssen."

Solche Töne sind unerhört in einem Land, in dem die Militärs seit 1960 vier Regierungen von der Macht verdrängt haben und in dem Kritik an der Armee immer noch als Vaterlandsverrat gilt. Aufgeschreckt von den negativen Reaktionen, meldete sich General Basbug per "Hürriyet" zu Wort. Erste Untersuchungen hätten ergeben, dass der Plan nicht auf Computern des Generalstabs verfasst worden sei, sagte er. Auf keinen Fall sei das Machwerk mit seinem Wissen oder gar auf seinen Befehl entstanden. Dieselbe Botschaft übermittelte Basbug auch dem Ministerpräsidenten in einem langen Gespräch.

Bemerkenswert an der Diskussion ist vor allem, dass sie überhaupt stattfindet. Erstmals in der jüngeren türkischen Geschichte fühlt sich die Armee gezwungen, Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit und den Zivilisten in der Regierung abzulegen. Einige Beobachter sehen in der Debatte um den mutmaßlichen Geheimplan deshalb ein gutes Zeichen. Werte von Demokratie und Rechtsstaat würden in allen Bereichen immer wichtiger, schrieb der Kolumnist Taha Akyol am Mittwoch in der Zeitung "Milliyet". Die Armeeführung habe diese "neue Mentalität" angenommen - aber offenbar gebe es Leute im Militär, auf die dies nicht zutreffe.

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