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Geiseldrama in Afghanistan: „Man darf vor der Propaganda nicht in die Knie gehen“

Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum über Erpressung und die schwierige Verantwortung für Menschenleben.

Herr Baum, Sie mussten als Bundesinnenminister in der Zeit des RAF-Terrors auch oft den Satz sagen: Der Staat ist nicht erpressbar. So sagt es auch jetzt die Bundesregierung im Falle entführter Geiseln in Afghanistan. Ist der Satz nur eine Phrase, schließlich geht es um Menschenleben?

Apodiktische Festlegungen, was der Staat tun darf oder lassen muss, lehne ich ab. Und man darf Forderungen schon gar nicht öffentlich diskutieren. Bei politischen Forderungen, beispielsweise die Forderung nach Abzug von Truppen, gibt es gar keinen Verhandlungsspielraum. Man kann von einer Regierung nicht erwarten, dass sie fundamentale Entscheidungen unter Druck ändert.

Und bei Geldforderungen?

Da wird es schon schwieriger, weil man als politisch Verantwortlicher weiß, dass man dadurch ein Menschenleben retten könnte. Andererseits weiß man, dass man die Geiselnehmer durch Geldzahlungen nur ermutigt. Das ist ein sehr schwerer Entscheidungsprozess. Deshalb kann man sich nur so verhalten, wie es bisher auch alle Bundesregierungen getan haben: den Verhandlungskontakt suchen und Verhandlungen führen.

Gilt der Satz „Wir sind nicht erpressbar“ auch, wenn wie jetzt in Afghanistan schon zwei südkoreanische Geiseln hingerichtet worden sind und sich weitere in Gefangenschaft befinden. Das erhöht doch den Handlungsdruck enorm.

Ja, der Handlungsdruck kann sehr stark werden. Trotzdem bleibe ich dabei, dass man generelle Handlungsmuster nicht festlegen kann. Jeder einzelne Fall ist anders, und deshalb müssen sie jeden Fall individuell entscheiden, womöglich auch in Absprache mit anderen Ländern. Es darf kein Dogma geben, auch wenn man nicht gerne zugibt, dass man unter Umständen nachgeben muss. Aber wann man nachgibt, und wie, das sollte in einer Grauzone bleiben.

Über die darf nicht geredet werden?

Nein. Offiziell darf man solche Dinge überhaupt nicht kommentieren. Und sie bleiben ja in der Regel außerhalb des Parteienstreits. Man muss der handelnden Regierung vertrauen, das Richtige zu tun. So war es immer.

Sind versteckte Geldzahlungen, Lösegeld, nicht das einzige zivile Mittel, um Geiseln ohne Gewalt zu befreien?

Das kann ein Mittel sein. Und es ist auch ein Mittel. Wir haben gerade bei der Freilassung der bulgarischen Krankenschwestern erlebt, dass es wirtschaftliche Zugeständnisse gab, die meiner Ansicht sogar zu weit gingen. Aber wer will das letztlich beurteilen, wenn man nicht die Verhandlungen geführt hat.

Man befördert gleichzeitig die Entführungsindustrie.

Immer. Das ist das Dilemma. Daher sind zum Beispiel in Italien Lösegeldzahlungen verboten – trotzdem wird gezahlt.

Als politisch Verantwortlicher steckt man in einem Dilemma, wie hoch ist der persönliche psychologische Druck?

Man wird alles versuchen, um Menschenleben zu retten. Das wissen Erpresser.

Nimmt man Entscheidungen mit nach Hause ins Bett und in die Träume?

Natürlich.

Das Auswärtige Amt hat erneut vor dem Medienterror der Taliban gewarnt, das neue Video mit der deutschen Geisel ist der jüngste Anlass. Ist eine solche öffentliche Debatte nicht noch schädlicher, den Propagandakrieg wird man kaum gewinnen können gegen Terroristen, oder?

Die RAF hat damals jede Auseinandersetzung mit dem Staat begrüßt, in der die Terroristen als „Staatsfeind“ aufgewertet wurden. Sie waren und bleiben aber Kriminelle. Eine solche Aufwertung ist mit der Warnung des Auswärtigen Amtes nicht verbunden. Es wäre schlimm, wenn wir vor dieser Propaganda in die Knie gehen würden. Das ist das Signal.

Das Gespräch führte Armin Lehmann.

Gerhart Baum (74) war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Zuvor war der FDP-Politiker und Rechtsanwalt Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium.

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